Dienstag, 19. Oktober 2010

Predigt 16. Sonntag nach Trinitatis 2010

Liebe Gemeinde,

gestatten Sie mir eine Frage zu Beginn, die etwas provokativ daherkommt: Was nützt uns der Glaube? Ist das Christentum lediglich eine Theorie, eine Weltanschauung wie andere auch? Wozu brauchen wir Gott in unserem ganz persönlichen Leben – im Arbeitsalltag, in der Schule, in der Familie, in den eigenen vier Wänden? Ich bin der festen Überzeugung, dass das Christentum einen ganz lebenspraktischen Zug hat. Der Glaube ist ein Navigationssystem, das unser Leben gelingen lässt. Damit meine ich nicht zuerst die Anweisungen, was richtig und falsch ist, was wir tun oder besser lassen sollen. Nicht die zehn Gebote oder die Nächstenliebe, die wir üben sollen, meine ich. Das alles sind erst spätere Früchte einer wahren Beziehung der Menschen mit Gott. An erster Stelle geht es im Glauben um ein Grundvertrauen. Vertrauen ist ein großes Wort. Vertrauen steht am Anfang jedes menschlichen Lebens – die Geborgenheit der Mutter, das Gefühl gehalten zu sein in dieser Welt, das noch nicht verstandene Wissen, dass es Nahrung und Wärme gibt in dieser Welt. Das ist der ideale Start ins Leben. Wo diese Grunderfahrung des Vertrauens fehlt, da fehlt Entscheidendes. Menschen, die als Babys solch Vertrauen nicht geschenkt bekamen, werden ihr ganzes Leben unsicher und von Angst Getriebene bleiben. Dies ist ein schönes Beispiel für die Zuwendung Gottes zu uns, auf die wir mit unserem Glauben also mit unserem Vertrauen antworten. Vertrauen hat nämlich, wie schon das Beispiel der ersten Lebensmonate zeigt, nichts mit Erkenntnis zu tun. Der Glaube ist nicht zuerst ein Wissen von einer Sache, die ich wie ein Buch ins Regal stellen und bei Bedarf wieder hervorkramen kann. Vertrauen und Glaube sind Gefühle. Ein Baby weiß noch nichts, hat keine Erkenntnis, sondern nur Gefühl. Es spürt die Nähe der Mutter und fühlt sich geborgen. Was eine gute Mutter für ihr Neugeborenes ist, so ist Gott in seiner Beziehung zu uns. Wir brauchen in solchem Grundgefühl nicht Getriebene unserer Ängste und Sorgen bleiben, denn Gott trägt uns und hält uns, Gott gibt uns, was wir brauchen. Das ist Glaube, ein Grundgefühl, was wirklich trägt im Leben. Solch ein Grundgefühl ist lebenspraktisch, weil es Auswirkungen in unserem Leben hat. Der Christ mag zweifeln, doch verzweifeln wird er nicht, wenn er sein Leben in Gott geborgen weiß. Der Christ mag sich sorgen, doch werden die Sorgen ihn nicht auffressen und ihm den Mut rauben können. Der Christ mag scheitern und Fehler machen, doch wird er trotzdem nicht aus Gottes Gnade fallen. Der Glaube ist eine Quelle, aus der Kraft zum Leben fließt. Die Liebe Gottes zu uns, die Liebe, die uns schon vom Mutterleib an umgibt, lässt uns selbst Liebende werden. Mit festen Füßen auf dieser Erde sein, mit Kraft und Liebe das Leben meistern, darum geht es im Glauben.

Das Vertrauen ist der Anfang von allem. Und wir lesen darüber an vielen Stellen unserer Heiligen Schrift. Der Apostel Paulus zum Beispiel macht seinen Leuten immer wieder Mut. Aber nicht einfach nur platte Durchhalteparolen wie im Totalen Krieg, sondern er lebt es selbst vor, wie in aller Bedrängnis und aller Not, der Glaube an Gott und das Erscheinen seiner Liebe in Jesus, ihn trägt und ihn immer wieder stärkt mit Kraft, Liebe und Besonnenheit. Er schreibt an seinen Freund Timotheus aus dem Gefängnis in Rom: „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserem Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.“ Worte der heiligen Schrift, Wort des lebendigen Gottes.

Paulus stellt fest, was mit uns ist, wessen Geistes wir sind, nicht erst werden sollen. Wir haben im Vertrauen auf Gott Kraft, Liebe und Besonnenheit. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Das Vertrauen, das Leben in diesem Geist, lässt uns auch die Durststrecken überstehen, die wir erleben, in unserer Lebensplanung, in unserer Gesundheit, an der Arbeit, in der Familie und wo auch immer wir unseren Platz in der Welt haben. Paulus stellt fest, was schon für uns und an uns geschehen ist. Gott hat uns selig gemacht, Gott hat uns berufen mit einem heiligen Ruf. Nicht weil wir besonders tolle Menschen sind, besser als andere, sondern weil er uns schon immer geliebt hat, schon als wir noch gar nicht auf der Welt waren, (als wir noch Quark im Schaufenster waren). Das ist mit Ratschluss gemeint, der große Plan, den Gott mit der Welt und den Menschen hat, noch ehe die Welt war. Diese Liebe ist erschienen in dem Menschen Jesus, der dadurch zum Retter der Menschen wird, weil er diese Beziehung zwischen Gott und den Menschen ein für allemal herstellt. Gott hat sich offenbart durch Jesus, der dem Tod die Macht genommen hat und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat. Liebe Gemeinde, mit anderen Worten: Unser Leben steht in einem ganz anderen und neuen Licht, als wir selbst es manchmal für glaubhaft halten. Was auch immer uns schreckt, Krankheit, Leiden, Trauer, der Tod, das alles hat keine Macht über uns, wenn wir dieses Geschenk Gottes in uns thronen lassen. Der Tod hat seine Macht verloren. Er ist deswegen zwar nicht aus der Welt, doch wird er uns nicht verschlingen, wenn wir auf Gott vertrauen, indem wir auf Jesus schauen und uns von ihm helfen, ja retten lassen. Denn unser Wesen ist unvergänglich bei Gott. Jesus hat dieses Vertrauen vorgelebt. Er hat das Leben selbst ans Licht gebracht. Wahres Leben hat seine Wurzel im Vertrauen, dass das Leben einen Sinn hat. Gott selbst ist der Grund des Vertrauens und der Adressat unseres Vertrauens.

Liebe Gemeinde, nun ist es ja so, dass ich das alles sagen kann. Damit allein, dass ich wie Paulus feststelle, was Gott für uns tut, stellt sich nicht automatisch Vertrauen und Glaube her. Denn Vertrauen ist ein Gefühl, keine Erkenntnis. Es ist ein Geschenk, das Gott selbst in uns wirkt durch seinen Geist. Wir Erwachsenen neigen dazu, anders als das unmittelbare Gefühl eines Neugeborenen, Vertrauen zu verlernen. Da gibt es Sorgen und Ängste, eingebildete und tatsächliche. Erfahrungen im Leben, die scheinbar unser Grundvertrauen erschüttern und hier und da ganz in Frage stellen. Vielleicht können wir uns über den Umweg der Erkenntnis Vertrauen zurück erobern. Die Erkenntnis, das Wahrwerden, dass das Leben ein Wunder ist, dass es da eine Erde gibt, die uns trägt, auf der wir sicheren Schritts gehen können, dass es da Menschen gibt, die uns begegnen, die uns begleiten, dass diese Welt Schönheiten in sich trägt, die sich kein Mensch erdenken kann, dass unsere Zukunft offen ist auf Hoffnung hin. Solches innere Wandern durch das Wunder unseres Lebens wünsche ich uns, dass Gott in unseren Herzen mehr und mehr wieder das Vertrauen zu ihm hervorbringt. Nichts braucht uns schrecken, denn Jesus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gestellt durch das Evangelium. Es ist alles schon vollbracht, liebe Gemeinde, wir brauchen nur noch glauben! Amen.