Liebe Gemeinde,
an diesem Ewigkeitssonntag halten wir inne. Wir denken an die Verstorbenen des letzten Jahres. Das unvermeidliche Ende drängt sich uns auf. Dieses Innehalten führt uns das eigene Sterbenmüssen vor Augen, das eigene Ende. Und nicht nur dies: das Schicksal der Erde bewegt uns. Wie soll das alles weiter gehen? Das Öl wird knapp, die Polkappen schmelzen, das Klima spielt verrückt, Kriege, Terror. Kein Tag vergeht, an dem wir nicht Schreckliches zu hören oder über die Mattscheibe vor Augen geführt bekommen. Fanatiker, die sich in vollbesetzten Schulbussen in die Luft sprengen, verhungerte Kinder nicht nur in Afrika, sondern in unserem Land, in Schwerin, in Bremen, Thörey usw. Sind das die Vorzeichen für das Ende der Welt? Die Filmindustrie liefert uns jede Menge Filme über solche Endzeitphantasien: Day after tommorow, (Der Tag nach morgen) zeigt was passiert, wenn das Klima umkippt. Eine neue Eiszeit, lebensfeindlich und bizarr. Oder gestern lief der Film im Fernsehen: „The day after“ (Der Tag danach), der die atomare Katastrophe zum Thema hatte. Ich könnte sicher noch viele Filme nennen. Alles hat einmal ein Ende. Und wenn wir heute zurückblicken nicht nur auf das, was uns persönlich bewegt, sondern auf den Lauf der Geschichte, so sehen wir: viele bedeutende Dinge haben irgendwann aufgehört zu existieren. Mächte und Gewalten, ganze Kulturen kamen, siegten und verschwanden wieder spurlos im Nichts. Maximal ein paar Trümmer und Scherben zeugen noch von großen Vergangenheiten. Was bleibt, wenn nichts mehr fest ist, wenn alles irgendwann an ein Ende kommt? Der Sozialstaat, eine Beziehung, ein Betreib, der sich auflöst, ein lieber Mensch, der stirbt, wenn ich einmal selbst gehen muss. Was bleibt bestehen? Darauf gibt Jesus in unserem Predigttext eine Antwort. Im Markusevangelium sagt er zu seinen Jüngern:
„Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen; so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!“
Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. Da kann man einwenden, was sind schon Worte? Welche Bedeutung haben Worte, wenn nichts mehr da ist, wenn vielleicht niemand sie hört? Jesus ermutigt seine Jünger, zu glauben gegen alle Erfahrung, die gegen die Hoffnung spricht. Und wenn Jesus seine Jünger ermutigt, so meint er auch uns. Er sagt es ja: Was ich euch sage, das sage ich allen: Wachet! Kurz zuvor schilderte er schreckliche Bilder kommender Katastrophen, die Zerstörung des Tempels, die Verfolgung der Christen, die Kriegsherde und Verwüstungen, kurz gesagt: die große Bedrängnis. Wer zweifelt nicht an der Güte Gottes und seiner Schöpfung, wenn ihm Schreckliches widerfährt oder erlebt? Das Festhalten an der Hoffnung, dass das Gute und Richtige siegen wird, ist in solchen Momenten besonders schwer. Wer trauert, für den kann eine persönliche Welt zusammen gebrochen sein. Wer in die Welt sieht, nimmt wahr, dass auch der Bestand der Welt stets gefährdet ist. Jesus sagt dazu ganz trocken: Das ist so, da gibt es nichts zu beschönigen: Himmel und Erde werden vergehen. Das ist eine Bestandsaufnahme, eine Tatsache, an der wir nicht vorbei können. Spätestens wenn wir sterben, wird unsere persönliche Welt, unsere Beziehungen, unser sinnliches Erleben, unser Leib verschwunden sein. Doch wenn Jesus davon spricht, dass seine Worte nicht vergehen, so meint das nicht eine Spruchsammlung, die feuerfest in einem Safe den Untergang der Welt übersteht. Wenn Jesus von seinen Worten redet, dann ist das der Hinweis auf Gott. Jesus bürgt mit seinen Worten, seinen Taten, seinem Leben und Auferstehen dafür, dass dieser Gott bleiben wird. Wir vergehen, die Schöpfung mag vergehen, doch nicht der Schöpfer selbst. Wir kommen und gehen, doch einer bleibt, der vor uns war, der mit uns ging und der auch nach uns sein wird. Die nüchterne Feststellung des Endes verweist uns auf einen größeren Horizont, der unser Vorstellen übersteigt. Der Himmel, der jetzt ist, ist nicht der Himmel der kommen wird. Die Erde, die jetzt ist, ist nicht die Erde, die kommen wird. Kann das ein Trost sein, etwas, dass sich unserer Vorstellung entzieht? Das ist die Herausforderung an den Glauben. Gegen allen Schmerz, gegen alle Angst, gegen alle Erfahrungen und Analysen zu glauben, dass Gott allem seinen Sinn geben wird, dass alle und alles geborgen ist in dem einen großen Geheimnis der Welt. Dass nichts und niemand verloren geht, sondern in Gottes Hand bleibt. Glauben als Strategie gegen erdrückende Erfahrungen. Doch wenn die Welt vergeht, ist dann nicht alles umsonst, was wir auch tun? Wir können es sowieso nicht aufhalten! Was nützt es, dass ich weniger Auto fahre, die Klimakatastrophe kann ich allein damit nicht aufhalten! Was nützt es, keine Waffe in die Hand zu nehmen, wenn es immer noch genügend andere gibt, die sich gegenseitig töten, sei es im Krieg oder in der Nachbarschaft. Was nützt es, Medikamente gegen Seuchen zu produzieren, wenn die, die es bräuchten, kein Geld dafür haben es zu kaufen? Heißt das Hände in den Schoß legen – der Untergang kommt sowieso? Jesus sagt, genau das Gegenteil ist richtig. Wachsam sollen wir sein! Aufmerksam durch unser Leben gehen! Jesus malt es uns vor Augen mit einem Bild eines Hausherrn, der weggeht und die Arbeit verteilt. Niemand weiß, wann er wieder kommt. Doch was wäre, wenn er käme und die Arbeit wäre liegen geblieben? Sicher würden die Knechte in hohem Bogen vor die Tür gesetzt. Wachsam sollen wir also sein, die Dinge, die uns aufgetragen sind, erledigen. Wir sollen so leben, als wäre jetzt schon Gottes Herrlichkeit vor unserer Tür, so, als könne jeden Moment die neue Welt hereinbrechen. Von Martin Luther ist ja ein Wort überliefert, das diesen christlichen Lebensauftrag ganz plastisch beschriebt: „Wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich noch heute einen Apfelbaum pflanzen!“ Glaube widersetzt sich den düsteren Erfahrungen. Der Glaube lässt sich nicht einschüchtern oder herabziehen in den Strudel der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit. Denn der Glaube sieht den größeren Horizont, der sich auftut über uns – die Ewigkeit. Auch das Pflanzen eines Apfelbaums macht in dieser Sicht der Welt einen Sinn, selbst wenn er morgen nicht mehr stünde. Auch das Bemühen, Gutes zu tun, ist nie umsonst. Denn Gott gibt allem den Sinn. Was aber, wenn Gott uns schlafend findet, wenn seine neue Welt anbricht? Unfähig etwas zu tun, verkümmert in unserer Hoffnung, nicht mehr auf ihn wartend? Wachsam sein, aktiv gegen das Zerstörerische und Bedrohliche stehen, arbeiten, leben und lieben, wachen – das ist Leben im Licht der Ewigkeit.
Wachsamkeit hat für mich noch eine andere Bedeutung. Seien wir wachsam für Gott. Wir werden seine Spuren in unserem Leben entdecken, wenn wir wachsam sind, Augen und Ohren und besonders unsere Herzen öffnen für Gottes Wandeln und Wirken. Gott begegnet uns. Doch sind wir wachsam genug für ihn? Gott kommt uns entgegen in anderen Menschen, die es gut mit uns meinen, er kommt zu mir nach seinem Zeitplan, nicht nach meinem. So kann ich den Trost nach einer Trauerzeit als ein Zumirkommen Gottes erfahren. Oder die netten Worte, die mir ein Fremder sagt. Gott kommt mir in seinem Sohn Jesus entgegen, der für mich gestorben ist und auferstanden ist, der mit seinen Worten und mit seiner Liebe die Welt ein für allemal verändert hat. Der Gott, der in Jesus das Tor zum größeren Horizont aufgetan hat. Ewigkeit ist nicht einfach eine unendliche Zeit, sondern die Nahtstellen der Ewigkeit zeigen sich in unser aller Leben. Und vielleicht sind es manchmal die Zeiten der Bedrängnis, der Angst und des Zweifels, in denen uns Gott näher ist, als in unseren glücklichen Momenten. Ich wünsche uns solche Wachsamkeit für Gott. Ich wünsche uns den hoffnungsvollen Blick auf diese Welt, das Wissen, dass wir der Vollendung entgegengehen, der neuen Welt, in der wir uns einmal alle wieder sehen werden – die Lebenden und die Toten. Nichts und niemand wird vergessen sein bei Gott. Himmel und Erde mögen vergehen, doch Gott bleibt und hält die Zukunft für uns offen! Das stärke und bewahre uns auf unseren Wegen! Amen.