Liebe Konfirmandinnen, liebe Gemeinde,
welche Wege gehen wir? Und welche Wege werdet ihr einmal gehen? Wenn in früheren Zeiten Konfirmation gefeiert wurde, so war es der krönende Abschluss der Schulzeit. Nach Ostern begann dann für die meisten der Weg in die Lehre, mancher ging fort von zu Hause, um zu lernen, zu arbeiten, kurzum auf eigenen Beinen durch das Leben zu gehen. Heute ist die Schulzeit länger, ihr habt noch Zeit, um euch vorzubereiten und zu wachsen, in eurem Wissen, in eurer Entwicklung, in der geborgenen Welt eures Elternhauses. Das ist gut so. Und doch ist dies heute euer Tag und er markiert den Beginn eines Neuen. Ihr werdet bald, euch immer weniger als Kind, sondern als Jugendliche auf dem Weg fühlen. Ihr tut es zumeist schon jetzt, wenn manche Dinge, die euch früher Spaß gemacht haben, heute eher peinlich sind. Welche Wege werdet ihr gehen? Wir als Gemeinde, zu der ihr ab dem heutigen Tag ganz eigenständig gehört, und wir als Angehörige und Familie von euch, beten und hoffen, dass ihr die richtigen Wege findet, die richtigen Entscheidungen für euch trefft. Was wir mit auf den Weg geben, ist Gottes Wort, aus dem Munde Jesu. Jesus hat einmal gesagt: „Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind es, die auf ihm hineingehen. Wie eng aber ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden. Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ (Mt 7, 13-16a)
Liebe Gemeinde, liebe Konfirmanden, es macht einen Unterschied, ob ich mit 170 Sachen über eine dreispurige Autobahn im Leben fahre oder ob ich einen holprigen Feldweg fahre mit vielen Kurven, Schlaglöchern und schlechter Oberfläche. Auf den ersten Blick würden wir sicher die Autobahn vorziehen, denn wir kommen schnell von A nach B und müssen nicht um unsere Stoßdämpfer fürchten. Doch, was Jesu Bild sagen will, ist: So glatt, schnell und einfach ist das Leben nicht. Der einfache und bequeme Weg, er wird uns von den Wölfen im Schafspelz als Heil vor Augen geführt. 10 Kilo weniger in 30 Tagen, todsichere Aktienpakete, die das schnelle Geld versprechen, ewige Schönheit und Jugend, grenzenlose Mobilität und wenn etwas vor den Baum geht, schuld sind immer die anderen. Denn unsere Straße ist breit und hell. Wenn es eben immer so einfach wäre. Der Weg, der zum wahren Leben führt sieht anders aus. Da wird es manche Rückschläge geben, manche Abzweigung kommen, an denen wir uns entscheiden müssen, wie es weiter geht. Da gibt es dunkle Wegstrecken, wo wir das Licht einschalten müssen. Und letztlich werden wir älter, dann ist das schnelle Leben vorbei, und wir werden zurückschauen müssen und uns fragen, was war das jetzt nun mit meinem Leben. Was ist Bleibendes entstanden? Wenn ich auf der Autobahn fahre, rauscht alles an mir vorbei. Fahre ich den Schotterweg, so bleibt manche Erinnerung zurück. Eine Aufgabe im Leben, an der ich mir fast die Zähne ausgebissen hätte. Die Liebe, die ich gegeben habe, sie kommt vielfältig zu mir zurück.
Liebe Konfirmanden, ich will euch keine Angst machen. Aber es gehört zur Reife und dem Erwachsenwerden dazu, das Leben zu nehmen wie es ist. Und es ist gut, wenn man es sich nicht so einfach macht, wie die Werbung und die bunten Vorabendserien es uns vorgaukeln. Zum Erwachsenwerden gehört auch die Verantwortung. Denn es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Freiheit, die sich einfach nur nimmt, was sie braucht, zerstört den Anderen. Und zerstört letztlich sich selbst. Computer, Drogen, Gewalt, Alkohol, Verzweiflung, Selbstzweifel – Teufelskreise, vor denen niemand gefeit ist. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt. Wenige sind es, die ihn finden. Wenn ihr nun größer werdet, so fragt ihr auch danach, ob der Weg, den euch eure Eltern vorleben, der richtige ist. Auch das ist gut so und gehört zum Erwachsenwerden. Ihr habt schon jetzt ein gutes und gesundes Gespür dafür, dass das, was alle machen, nicht immer das Richtige sein muss. Der breite Weg ist es eben nicht, der zur Seligkeit führt. Wovon Jesus freilich auch redet, ist unser Weg mit Gott. Auch mit ihm kann man es sich nicht so einfach machen. Auch für ihn muss man sich immer wieder entscheiden, sich auf die Suche nach ihm machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es uns gerne leicht machen mit allem – auch mit Gott. Das mag eine Zeitlang gut gehen, ganz unbelastet eine scheinbare Freiheit zu genießen. Doch ist eine Welt ohne Gott, sind Menschen, deren Herz und Weltbild leer bleibt, eine große Gefahr für andere und für sich selbst. Ich denke, viele Probleme, die wir in unserer Welt haben, sind darauf zurückzuführen, dass wir uns selbst und nicht Gott zum Maßstab aller Dinge haben. Vieles liegt daran, dass wir nicht mutig genug angehen und anpacken, was uns stört, wo andere ungerecht behandelt werden. Weil wir eben lieber auf der Autobahn fahren, als die Steine aus dem Weg zu räumen, die auf dem Weg des Lebens liegen. So ist meine Botschaft, so ist Gottes Botschaft heute für euch dies: Macht es euch nicht zu einfach. Überlegt genau, welche Wege ihr geht und hütet euch vor der Lüge, die sich als Verheißung tarnt, hütet euch vor den Wölfen im Schafspelz. Davon gibt es viele. Geht euren Weg im Leben mit Bedacht, weicht nicht zurück, wenn es mal schwer vorangeht, tragt Verantwortung für euch und die Menschen, denen ihr begegnet. Seid wachsam und letztlich in allem getragen von Gott. Glaube und Vertrauen auf Gott scheinen wenig up to date zu sein. Vielleicht vergleicht ihr euch mit anderen, die nicht an Gott glauben und denkt, so ginge es auch. Doch denkt daran, der leichtere Weg ist nicht der bessere. Euer Glauben wird euch letztlich helfen können. Gott kann euer Airbag sein auf der steinigen Straße, das Licht der Scheinwerfer auf den dunklen Wegstrecken, das Hinweisschild bei einer Weggabelung und schließlich der Kraftstoff für eure Fahrt. So schließ sich der Kreis zu den Bibelversen, die ihr euch für euren Weg gewählt habt. „Die auf Gott vertrauen, kriegen immer wieder neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass laufen und nicht müde werden, dass sie gehen und nicht zusammen brechen.“ Und schließlich: „Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Wir sind da und gehen unsere Straße, und Gott ist da und geht in allem mit. Diese Erfahrung wünschen wir euch, diesen Segen wünschen wir euch. Etwas Größeres und Schöneres kann man nicht geben. Amen.
Mittwoch, 29. April 2009
Predigt Lätare, 22. März 2009
Liebe Gemeinde,
das heutige Wort aus dem Evangelium hat es in sich: Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren. Und wer sein Leben hasst, der wird es erhalten zum ewigen Leben. Was, liebe Gemeinde, soll daran erbaulich sein? Hören wir nicht viel lieber davon, was das Leben besser und lebenswert macht? Müssen wir erst in die Abgründe der Melancholie hinab, um dem Glück und der Seligkeit näher zu kommen? Wer sein Leben hasst, der wird es erhalten zum ewigen Leben. Was soll das für ein trauriges Leben sein, dass wir es auch noch erhalten sollen zum ewigen Leben?
Wie so oft, stoßen Jesu barsche Worte uns vor den Kopf. Doch wird alles etwas verständlicher, wenn wir bedenken, in welchem Bewusstsein, in welcher Situation Jesus diese Worte sagt. Einige Griechen kommen zu einem Jesusjünger namens Philippus und bitten ihn: sie wollen Jesus sehen. Sie wollen ihm begegnen, ihn kennen lernen. Es ist dies der Vorspann der letzten Tage Jesu, der letzten Stunden in diesem seinen Leben unter den Menschen, in dieser Welt. Jesus selbst nimmt das Ansinnen der Griechen zum Anlass für ein schweres Wort: „Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Die Bitte der Männer und Frauen aus Europa versteht Jesus als Zeichen, dass die Zeit erfüllt ist. Die Völker der Welt begehren, ihn kennen zu lernen. Zeit also für ihn, den Sinn des Kommenden aufzudecken, den letzten Weg zu deuten, der so klar und schrecklich vor ihm liegt – seine Passion, sein Kreuz, sein ohnmächtiger und schuldloser Tod. Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Wohl kaum einer seiner Weggefährten hat zu diesem Zeitpunkt eine Ahnung, was er damit meint. Erst mit Ostern und der späteren Gabe des Geistes, der gewaltigen Explosion christlicher Mission und Erweckung in den kommenden Jahrzehnten, wird deutlich, warum Jesus diese Worte sagte. Sein Leiden und sein Tod gehen über alles, was die Menschen schon von ihm wussten, hinaus. Gott offenbart sich in der größten Tiefe, im Gegenteil dessen, was wir erwartet hätten. Der Gottessohn muss sterben, damit er Frucht bringe. Denn erst in der Überwindung des Todes und des Leidens, und darin unserer Angst und Weltbesessenheit, liegt die eigentliche Erlösung der Menschen.
Es mag sein, dass genau dieses Geheimnis, welches wir in der Passionszeit und besonders zu Karfreitag bedenken, schwer begreiflich ist. Es wirft unsere Wünsche nach Glück und Segen für dieses Leben zunächst über den Haufen. Segen und Erlösung liegen gerade im Gegenteil verborgen – nicht in Gesundheit und Erfolg, sondern im Zeichen des Kreuzes, dem schrecklichsten der damals bekannten Hinrichtungsarten. Das Weizenkorn muss sterben, damit es Frucht bringt. Es ist ein eindrückliches Bild, das Jesus für seinen Weg nimmt. Vergehen und Neuwerden liegen eng zusammen. In eindrücklicher Weise haben die frühen Christen dieses Geheimnis der verborgenen Offenbarung Gottes im Gegenteil erfasst und daraus die feste Gewissheit geschöpft, dass Jesus sie selbst durch sein Blut teuer erkauft hat. Sie sind die Frucht, die sein Tod geboren hat, vielfältig, aus allen Völkern der Erde gewonnen zum ewigen Leben. Das, liebe Gemeinde, ist schwere Kost. Und weil wir in unserer Zeit uns schwer tun, mit komplizierten Dingen und gerne an der Oberfläche kratzen, statt die Tiefe und die Abgründe zu sehen, ist die Botschaft von der erlösenden Kraft des Kreuzes Jesu vielen ein Ärgernis.
Das war übrigens damals schon so. Bist du Gottes Sohn, so steig vom Kreuz herab, versuchen ihn seine Mörder. Anderen hast du geholfen und kannst dir selbst nicht helfen. Das Bild der Schwäche und Ohnmacht passt nicht in unsere Köpfe, in unsere Vorstellung vom Göttlichen, das so viel größer sein soll als wir selbst. Größer ist es in jedem Fall. Doch ist es eben auch ganz anders. Wenn wir ein schönes Auto fahren, so meinen wir, Gottes Sohn müsste noch einen draufsetzen. Wenn wir das Glück haben, ein langes Leben in Gesundheit und Wohlstand zu haben, dann müsste doch göttliches Leben ein Mehr davon sein. Doch alles, was wir von Gott wissen können, dürfen wir uns in Jesus anschauen. In ihm begegnen wir dem Gegenteil und er macht damit eines deutlich: Da gibt es noch viel mehr, als das, was ihr glaubt, was wichtig ist. Wer sein Leben liebt, wird es verlieren. Das schaut von diesem Blickwinkel ganz anders aus. Wer nichts anderes kennt, als dass der Magen und der Benzintank voll sind, wer nur an seinen eigenen Hintern denkt, wird nicht weit kommen. Denn das alles, was unseren materiellen Gewinn ausmacht, ist vergänglich, hinfällig. Zuletzt können wir nichts mitnehmen.
Ich denke, liebe Gemeinde, gerade in diesen Tagen hat eben dies besondere Klarheit für unsere Herzen. Die Finanzkrise und ihre bis heute noch nicht absehbaren Folgen für uns alle zeigen deutlich die Grenzen unserer menschlichen Gier und Vorstellung vom Leben. Die vernichtende Kraft der Raffgier und einer falschen Vorstellung vom ewigen Wachstum hat sich in aller Deutlichkeit gezeigt. Auch ein Herr Zumwinkel wird durch seine Millionen nicht das ewige Leben kaufen können. Unsere Konten und Sparbücher werden wir nicht mitnehmen können. Denn: Es gibt anderes und wichtigeres in unserem Leben und das ist das Leben, das im Einklang mit Gott steht.
Das schreit nach Veränderung, nach Umkehr, nach einem Ablegen alter Zöpfe und Gewohnheiten. Wer kennt es nicht, das Gefühl, hier und da in meinem Leben geht etwas schief. Oft ist es doch so, dass unsere Bequemlichkeit, eben auch die Sicherheit und die Fülle unseres Kontos und Magens, den notwendigen Veränderungen im Wege stehen. Jesus ruft zur Nachfolge. Das kann vieles für uns bedeuten. In jedem Falle ist es ein steter Ruf, heraus zu finden aus der Lebensgier, die uns auffrisst. Jüngst las ich ein erdachtes Interview mit Gott, in welchem er auf die Frage antwortet: Was wundert dich am meisten über den Menschen? Da sagt er unter anderem: Mich wundert, dass der Mensch sich abarbeitet, einen Job hat, der ihn krank macht, um soviel Geld zu verdienen, damit er sich wieder Gesundheit erkaufen kann. Das, liebe Gemeinde, ist eines von vielen möglichen Beispielen, wo wir gegen Wände laufen, wo wir in die Irre gehen in unserer Sucht, unserer Suche nach Leben. Erinnern wir uns, wie es anders ginge. Erinnern wir uns, wie Jesus Menschen aus ihren Gewohnheiten riss, die sie krank machten. Zachäus, der Steuereinnehmer. Er war raffgierig, suchte seinen Profit. Das Ergebnis, er war vielleicht vermögend, doch auf welche Kosten? Freunde, Liebe, Zuneigung? Fehlanzeige. Jesus ruft ihn, Zachäus schmeißt alles hin, folgt ihm nach und wird tatsächlich glücklich. Er gibt vierfach zurück, was er den Leuten aus der Tasche gezogen hat. Er gibt es aber nicht unwillig, sondern entdeckt gerade darin wieder Sinn für sein Leben. Ein neuer Anfang, ganz unbelastet von der Gier, von der Angst um das Geschaffene. Er wird wieder frei, denn es gibt mehr und wichtigeres als Geld. So wird seine Begegnung mit Jesus zum Anfang seines wirklichen, eines wirklich freien Lebens. Da ist es egal, wann uns dieser Ruf zur Freiheit ereilt. Er ist immer aktuell, denn die Zeit ist immer erfüllt. Die Zeit zur Umkehr ist immer jetzt. Denn wir sind immer unvollkommen und unfrei.
Was aber, ist nun das Freudige dieses Sonntages, der mit seinem lateinischen Namen „Freuet euch!“ heißt? Es ist der Vorausblick Jesu auf das ewige Leben, auf den Gewinn, der uns durch seinen Tod geschenkt wird. Das Weizenkorn muss ersterben, damit neues Leben daraus hervorgeht. Das mag ungerecht klingen, doch ist es für uns die Freude, dass wir gerettet werden, wenn wir Jesus folgen. Es gibt mehr und größeres als dieses Leben. Das heißt nicht, dass wir dieses Leben tatsächlich hassen sollen, doch heißt es, dass dieses Leben unvollständig ist und in eine falsche Richtung gehen kann. Es ist ein Leben, in dem wir nie ganz frei sind – immer auch Gefangene von auferlegten Strukturen, Gesetzen, Gefangene unserer eigenen Bedürfnisse und Selbstsüchte, Gefangene unseres Konsums und Schuld, unserer Angst und unserem Schmerz. Das soll dann schon alles gewesen sein? Nein, der, der unser Kreuz auf sich nahm, tat dies, damit wir frei werden zum wahren Leben. Schon jetzt – hier mitten in der Welt umkehren, unsere Schritte und Werte stets aus dem Blickwinkel Gottes neu bedenken, es verheißt uns aber auch ein Leben darüber hinaus – die Vollendung und Erfüllung bei Gott. Jesus hat den Tod besiegt. Darauf dürfen wir heute schon blicken, denn es ist geschehen – für alle Zeit. Wenn das kein Grund zur Freude ist. Wo ich bin, da soll mein Diener sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren, spricht Jesus. Gott wird uns dienlich sein, wir werden erhöht werden, so wie wir Gott die Ehre geben, werden wir selbst geehrt und vollendet werden. Freuet euch über das Kreuz. Freut euch des Geheimnisses dieser Offenbarung, die uns durch das nackte Gegenteil unserer Wünsche gerade die Ewigkeit und den Himmel eröffnet. Vertraut den neuen Wegen. Ich bete für unsere Gemeinden und wir wollen darin einstimmen, dass Gott uns seinen Geist schenken möge immer wieder, damit wir uns befreien lassen durch das Kreuz, neue Wege gehen und endlich das gelingende Leben suchen, das uns frei werden lässt. Dazu helfe uns der ewige Gott. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
das heutige Wort aus dem Evangelium hat es in sich: Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren. Und wer sein Leben hasst, der wird es erhalten zum ewigen Leben. Was, liebe Gemeinde, soll daran erbaulich sein? Hören wir nicht viel lieber davon, was das Leben besser und lebenswert macht? Müssen wir erst in die Abgründe der Melancholie hinab, um dem Glück und der Seligkeit näher zu kommen? Wer sein Leben hasst, der wird es erhalten zum ewigen Leben. Was soll das für ein trauriges Leben sein, dass wir es auch noch erhalten sollen zum ewigen Leben?
Wie so oft, stoßen Jesu barsche Worte uns vor den Kopf. Doch wird alles etwas verständlicher, wenn wir bedenken, in welchem Bewusstsein, in welcher Situation Jesus diese Worte sagt. Einige Griechen kommen zu einem Jesusjünger namens Philippus und bitten ihn: sie wollen Jesus sehen. Sie wollen ihm begegnen, ihn kennen lernen. Es ist dies der Vorspann der letzten Tage Jesu, der letzten Stunden in diesem seinen Leben unter den Menschen, in dieser Welt. Jesus selbst nimmt das Ansinnen der Griechen zum Anlass für ein schweres Wort: „Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Die Bitte der Männer und Frauen aus Europa versteht Jesus als Zeichen, dass die Zeit erfüllt ist. Die Völker der Welt begehren, ihn kennen zu lernen. Zeit also für ihn, den Sinn des Kommenden aufzudecken, den letzten Weg zu deuten, der so klar und schrecklich vor ihm liegt – seine Passion, sein Kreuz, sein ohnmächtiger und schuldloser Tod. Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Wohl kaum einer seiner Weggefährten hat zu diesem Zeitpunkt eine Ahnung, was er damit meint. Erst mit Ostern und der späteren Gabe des Geistes, der gewaltigen Explosion christlicher Mission und Erweckung in den kommenden Jahrzehnten, wird deutlich, warum Jesus diese Worte sagte. Sein Leiden und sein Tod gehen über alles, was die Menschen schon von ihm wussten, hinaus. Gott offenbart sich in der größten Tiefe, im Gegenteil dessen, was wir erwartet hätten. Der Gottessohn muss sterben, damit er Frucht bringe. Denn erst in der Überwindung des Todes und des Leidens, und darin unserer Angst und Weltbesessenheit, liegt die eigentliche Erlösung der Menschen.
Es mag sein, dass genau dieses Geheimnis, welches wir in der Passionszeit und besonders zu Karfreitag bedenken, schwer begreiflich ist. Es wirft unsere Wünsche nach Glück und Segen für dieses Leben zunächst über den Haufen. Segen und Erlösung liegen gerade im Gegenteil verborgen – nicht in Gesundheit und Erfolg, sondern im Zeichen des Kreuzes, dem schrecklichsten der damals bekannten Hinrichtungsarten. Das Weizenkorn muss sterben, damit es Frucht bringt. Es ist ein eindrückliches Bild, das Jesus für seinen Weg nimmt. Vergehen und Neuwerden liegen eng zusammen. In eindrücklicher Weise haben die frühen Christen dieses Geheimnis der verborgenen Offenbarung Gottes im Gegenteil erfasst und daraus die feste Gewissheit geschöpft, dass Jesus sie selbst durch sein Blut teuer erkauft hat. Sie sind die Frucht, die sein Tod geboren hat, vielfältig, aus allen Völkern der Erde gewonnen zum ewigen Leben. Das, liebe Gemeinde, ist schwere Kost. Und weil wir in unserer Zeit uns schwer tun, mit komplizierten Dingen und gerne an der Oberfläche kratzen, statt die Tiefe und die Abgründe zu sehen, ist die Botschaft von der erlösenden Kraft des Kreuzes Jesu vielen ein Ärgernis.
Das war übrigens damals schon so. Bist du Gottes Sohn, so steig vom Kreuz herab, versuchen ihn seine Mörder. Anderen hast du geholfen und kannst dir selbst nicht helfen. Das Bild der Schwäche und Ohnmacht passt nicht in unsere Köpfe, in unsere Vorstellung vom Göttlichen, das so viel größer sein soll als wir selbst. Größer ist es in jedem Fall. Doch ist es eben auch ganz anders. Wenn wir ein schönes Auto fahren, so meinen wir, Gottes Sohn müsste noch einen draufsetzen. Wenn wir das Glück haben, ein langes Leben in Gesundheit und Wohlstand zu haben, dann müsste doch göttliches Leben ein Mehr davon sein. Doch alles, was wir von Gott wissen können, dürfen wir uns in Jesus anschauen. In ihm begegnen wir dem Gegenteil und er macht damit eines deutlich: Da gibt es noch viel mehr, als das, was ihr glaubt, was wichtig ist. Wer sein Leben liebt, wird es verlieren. Das schaut von diesem Blickwinkel ganz anders aus. Wer nichts anderes kennt, als dass der Magen und der Benzintank voll sind, wer nur an seinen eigenen Hintern denkt, wird nicht weit kommen. Denn das alles, was unseren materiellen Gewinn ausmacht, ist vergänglich, hinfällig. Zuletzt können wir nichts mitnehmen.
Ich denke, liebe Gemeinde, gerade in diesen Tagen hat eben dies besondere Klarheit für unsere Herzen. Die Finanzkrise und ihre bis heute noch nicht absehbaren Folgen für uns alle zeigen deutlich die Grenzen unserer menschlichen Gier und Vorstellung vom Leben. Die vernichtende Kraft der Raffgier und einer falschen Vorstellung vom ewigen Wachstum hat sich in aller Deutlichkeit gezeigt. Auch ein Herr Zumwinkel wird durch seine Millionen nicht das ewige Leben kaufen können. Unsere Konten und Sparbücher werden wir nicht mitnehmen können. Denn: Es gibt anderes und wichtigeres in unserem Leben und das ist das Leben, das im Einklang mit Gott steht.
Das schreit nach Veränderung, nach Umkehr, nach einem Ablegen alter Zöpfe und Gewohnheiten. Wer kennt es nicht, das Gefühl, hier und da in meinem Leben geht etwas schief. Oft ist es doch so, dass unsere Bequemlichkeit, eben auch die Sicherheit und die Fülle unseres Kontos und Magens, den notwendigen Veränderungen im Wege stehen. Jesus ruft zur Nachfolge. Das kann vieles für uns bedeuten. In jedem Falle ist es ein steter Ruf, heraus zu finden aus der Lebensgier, die uns auffrisst. Jüngst las ich ein erdachtes Interview mit Gott, in welchem er auf die Frage antwortet: Was wundert dich am meisten über den Menschen? Da sagt er unter anderem: Mich wundert, dass der Mensch sich abarbeitet, einen Job hat, der ihn krank macht, um soviel Geld zu verdienen, damit er sich wieder Gesundheit erkaufen kann. Das, liebe Gemeinde, ist eines von vielen möglichen Beispielen, wo wir gegen Wände laufen, wo wir in die Irre gehen in unserer Sucht, unserer Suche nach Leben. Erinnern wir uns, wie es anders ginge. Erinnern wir uns, wie Jesus Menschen aus ihren Gewohnheiten riss, die sie krank machten. Zachäus, der Steuereinnehmer. Er war raffgierig, suchte seinen Profit. Das Ergebnis, er war vielleicht vermögend, doch auf welche Kosten? Freunde, Liebe, Zuneigung? Fehlanzeige. Jesus ruft ihn, Zachäus schmeißt alles hin, folgt ihm nach und wird tatsächlich glücklich. Er gibt vierfach zurück, was er den Leuten aus der Tasche gezogen hat. Er gibt es aber nicht unwillig, sondern entdeckt gerade darin wieder Sinn für sein Leben. Ein neuer Anfang, ganz unbelastet von der Gier, von der Angst um das Geschaffene. Er wird wieder frei, denn es gibt mehr und wichtigeres als Geld. So wird seine Begegnung mit Jesus zum Anfang seines wirklichen, eines wirklich freien Lebens. Da ist es egal, wann uns dieser Ruf zur Freiheit ereilt. Er ist immer aktuell, denn die Zeit ist immer erfüllt. Die Zeit zur Umkehr ist immer jetzt. Denn wir sind immer unvollkommen und unfrei.
Was aber, ist nun das Freudige dieses Sonntages, der mit seinem lateinischen Namen „Freuet euch!“ heißt? Es ist der Vorausblick Jesu auf das ewige Leben, auf den Gewinn, der uns durch seinen Tod geschenkt wird. Das Weizenkorn muss ersterben, damit neues Leben daraus hervorgeht. Das mag ungerecht klingen, doch ist es für uns die Freude, dass wir gerettet werden, wenn wir Jesus folgen. Es gibt mehr und größeres als dieses Leben. Das heißt nicht, dass wir dieses Leben tatsächlich hassen sollen, doch heißt es, dass dieses Leben unvollständig ist und in eine falsche Richtung gehen kann. Es ist ein Leben, in dem wir nie ganz frei sind – immer auch Gefangene von auferlegten Strukturen, Gesetzen, Gefangene unserer eigenen Bedürfnisse und Selbstsüchte, Gefangene unseres Konsums und Schuld, unserer Angst und unserem Schmerz. Das soll dann schon alles gewesen sein? Nein, der, der unser Kreuz auf sich nahm, tat dies, damit wir frei werden zum wahren Leben. Schon jetzt – hier mitten in der Welt umkehren, unsere Schritte und Werte stets aus dem Blickwinkel Gottes neu bedenken, es verheißt uns aber auch ein Leben darüber hinaus – die Vollendung und Erfüllung bei Gott. Jesus hat den Tod besiegt. Darauf dürfen wir heute schon blicken, denn es ist geschehen – für alle Zeit. Wenn das kein Grund zur Freude ist. Wo ich bin, da soll mein Diener sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren, spricht Jesus. Gott wird uns dienlich sein, wir werden erhöht werden, so wie wir Gott die Ehre geben, werden wir selbst geehrt und vollendet werden. Freuet euch über das Kreuz. Freut euch des Geheimnisses dieser Offenbarung, die uns durch das nackte Gegenteil unserer Wünsche gerade die Ewigkeit und den Himmel eröffnet. Vertraut den neuen Wegen. Ich bete für unsere Gemeinden und wir wollen darin einstimmen, dass Gott uns seinen Geist schenken möge immer wieder, damit wir uns befreien lassen durch das Kreuz, neue Wege gehen und endlich das gelingende Leben suchen, das uns frei werden lässt. Dazu helfe uns der ewige Gott. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Predigt Quasimodogeniti 19. April 2009 - Der ungläubige Thomas
Liebe Gemeinde,
wo kämen wir hin, wenn wir alles glauben würden, was uns jemand sagt? Wenn ich Ihnen jetzt erzählen würde, ich hätte ein rosafarbenes Wildschwein auf dem Kirchendach gesehen, als ich hierher fuhr, was wäre dann? Würden Sie mir glauben? Oder würden Sie nicht viel eher sagen: Der spinnt aber heute unser Pfarrer. Das glaube ich erst, wenn ich es selbst gesehen habe, das rosafarbene Wildschwein auf dem Kirchendach. Wenn nun neun andere ebenso das rosafarbene Wildschwein gesehen hätten, und Sie selbst nicht. Selbst dann würde die Sache trotzdem ähnlich sein. Der Zweifel daran, ob es so etwas wie rosafarbene Wildschweine tatsächlich gibt und ob sie noch dazu in der Lage wären, auf Dächer zu klettern, der Zweifel daran würde bleiben, bis eine eigene Erfahrung an die Stelle des Zweifels tritt.
Nun, liebe Gemeinde, ich habe kein Wildschwein auf dem Dach gesehen, auch kein rosafarbenes, doch zeigt uns dieses Beispiel, wie wir uns in die Geschichte des ungläubigen Thomas hineinfühlen können, die wir eben im Evangelium gehört haben. Seine Freunde erzählen, dass ihnen Jesus begegnet ist, der doch vor einer Woche am Kreuz starb. Einmütig erzählen sie und berichten Thomas davon. Doch er war nicht dabei. Ist das denn glaubhaft? Der Meister und Freund, den er begleitet hatte, der ihn rief in ein neues Leben für Gottes Reich, war tot. Er hatte es selbst gesehen – von weitem, er war dabei. Was wollten die anderen ihm da erzählen. Hatte die unendliche Trauer um Jesus, die auch er in seinem Herzen spürte, die anderen wahnsinnig werden lassen? Es ist ein berechtigter Zweifel in ihm. Er sagt: Wenn ich ihn nicht selbst sehe, dann glaube ich euch nicht. Vielmehr noch: Er fordert eine ganzheitliche Erfahrung: Er will Jesus nicht nur sehen, sondern ihn auch anfassen. Erst dann möge sein Zweifel schwinden und sich in Glauben kehren.
Liebe Gemeinde, wir haben hier ein Grundproblem bei uns Menschen. Wir halten für wahr, was wir sehen, was unserer eigenen Erfahrung entspricht. Diese Weise, die Welt zu sehen, mag manch sonderbare Blüte tragen. Denn wir schauen auch weg, weil wir bestimmte Dinge nicht sehen wollen. Die Alkoholsucht eines Nachbarn, die Schläge und Gewalt in einer benachbarten Familie, die Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, die Armut in der Welt. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Das ist eine Seite. Unsere Blickrichtung bestimmt unsere Haltung zur Welt. So sagen viele unserer Zeitgenossen: weil ich Gott nicht gesehen habe, weil mir der Auferstandene selbst noch nicht sichtbar und fühlbar begegnet ist, gäbe es die ganze Glaubenssache gar nicht. Das wiederum ist vielleicht verständlich und manchmal würden wir uns selbst solche Begegnungen mit dem Heiligen wünschen, die uns gewiss und fest machen in unserem Glauben, in unserer Hoffnung. Doch wissen wir, wir leben nicht im Schauen sondern im Glauben. Und wir wissen und haben hoffentlich erfahren können, dass Gott uns ganz anders als anfassbar und sichtbar begegnet. Vielleicht in einer unerwarteten Hilfe in Bedrängung und Not, vielleicht in der Liebe eines anderen, vielleicht durch eine glückliche Wendung des Lebensweges. Ich könnte viele solcher Erfahrungen nennen, doch bleibt es auch an uns, diese Begegnungen zu deuten als heimliche Spuren Gottes in unserem Leben.
Zurück zu Thomas. Jesus gibt nach. Er erfüllt den Wunsch des Thomas nach Gewissheit, nach der persönlichen Erfahrung. Er tritt unter die Jünger und gibt sich durch den Friedensgruß zu erkennen. Er fordert Thomas auf, die Nägelmale zu berühren, ihm in die Seite zu fassen, ihn und seine Gegenwart mit eigenen Augen und Händen zu spüren. Die Geschichte beschreibt nicht, ob Thomas tatsächlich von diesem Angebot Gebrauch macht. Es folgt das Glaubensbekenntnis des Thomas, in wenigen Worten auf den Punkt gebracht: Mein Herr und mein Gott! Zugleich könnten wir Jesu folgende Worte als eine Schelte für Thomas hören: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du! Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Liebe Gemeinde, Gott mutet uns da einiges zu. Das aber ist unsere Situation. Wir sehen nicht und glauben doch. Unser Glaube ist darum nie statisch und fest. Es gibt wohl viele Grade der Gewissheit – auch und gerade unter Christen, auch und gerade in der Gemeinde, die Jesu Namen trägt. Wie viel Zweifel erträgt eine Gemeinschaft? Ich denke, das Besondere dieser Erzählung ist nicht nur die Verheißung der Seligkeit an uns, die wir nicht sehen und doch glauben wollen, sondern die Tatsache, dass der Zweifel unter uns als Gemeinde getragen und ausgehalten wird. So wie die Jünger dem Thomas Zeugnis gaben über ihre Erfahrung und Hoffnung, so wollen auch wir uns untereinander bestärken in der Hoffnung, die uns trägt.
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist die Auferstehung ebenso unwahrscheinlich wie ein rosafarbenes Wildschwein auf dem Kirchendach. Doch, liebe Gemeinde, im Glauben geht es nicht um Wahrscheinlichkeit, sondern um das, was uns trägt, was uns Kraft gibt zu Leben. Es geht um Hoffnung. Unsere Hoffnung ist immer unsichtbar, selbst wenn die Hoffnung nur ein größerer Gehaltsscheck ist oder etwas anderes banales. Was wissen wir schon von der Welt, wenn es uns nicht einmal gelingt, die gröbsten Probleme in unserer Gesellschaft zu beheben oder erst einmal zu sehen. Was, liebe Gemeinde, weiß schon ein Baum vom Leben der Tiere? Was weiß das Tier über das menschliche Leben? Was wissen wir von Gott und dem Leben, das über unseres hinausgeht? Das neue Sein, das Gott verheißt ist unsichtbar für unsere Augen, ebenso wie Gott selbst. Wie könnten wir seinem Anblick auch standhalten? In der Bibel sagt Gott oft: Wer mich sieht, der vergeht.
Der Zweifel des einen, ermöglicht den Glaubenden eine zweite Begegnung. Das, liebe Gemeinde, ist ein schönes Bild, das wir auf unsere Gemeinden übertragen könnten. Der Zweifel gehört zum Glauben hinzu. Erst wo ich Fragen stelle, kann ich auf eine Antwort warten und diese aufnehmen. Wo alles klar ist, da ist am Ende keine Antwort nötig. Doch sind wir alle Fragende und Suchende. Gott will, dass wir nach ihm fragen, dass wir ihn suchen. Wenn wir dies von Herzen tun, so will Gott sich finden lassen. Das, liebe Gemeinde, ist das Erstaunliche, dass Gott sich tatsächlich finden lässt, wenn wir ihn suchen. So kann der Zweifel uns erst die Tür öffnen für den Glauben. So kann – wenn wir uns gewiss fühlen – der Zweifel eines anderen, uns einladen, selbst wieder auf die Suche zu gehen. So kann uns das zu einer neuen, einer zweiten Begegnung mit Gott führen. Weil Thomas zweifelt, begegnet Jesus den anderen Jüngern ein zweites Mal.
Gottes Liebe ist stärker als jeder Tod. Gottes Antwort auf unsere Fragen ist Jesus Christus – nicht mehr und nicht weniger. Wir können nicht erwarten, dass der Inhalt unseres Glaubens beweisbar wäre, dann wäre es kein Gegenstand des Glaubens. Wir können aber Erfahrungen machen mit diesem Glauben. Wir sehen dann wahrscheinlich keine rosa Wildschweine, wir fassen damit nicht dem Auferstandenen selbst an seinen Händen. Unsere Erfahrungen könnten aber so aussehen: wir können Trost und Kraft schöpfen aus der Zusage, dass Gott uns liebt, wir könnten in Jesu Auferweckung erkennen, was uns heimlich bewegt, nämlich, dass es mehr gibt als wir sehen, wir könnten aus den Weisungen, die Gott uns offenbart hat, ein Leben führen, das nicht in die Irre führt, sondern auf der geraden und rechten Straße bleibt. Allein darin kann Leben gelingen und zum Glück schon hier und jetzt führen. Das alles sind Erfahrungen mit dem Glauben. Das alles ist möglich, auch wenn wir noch nicht sehen, was uns erwartet. Auch wenn wir nicht Zeugen der Auferstehung waren. Das Unsichtbare möge uns nicht schrecken, denn alles, was Hoffnung ausmacht, bleibt unsichtbar. So sind wir vielleicht wie Bäume, die keine Augen haben, um das nächst höhere Leben zu sehen. Wir erfahren es an unseren Wurzeln, an unserer Rinde, in unseren Zweigen und Blättern, aber sehen können wir es nicht. Möge die Erfahrung unseres Lebens und Glaubens wachsen, mögen wir seine Spuren auch bei uns entdecken, mögen wir uns immer wieder neu auf die Suche nach dem höheren Leben machen, mögen wir auch im Zweifel der Welt uns neu besinnen darauf, was der Grund unserer Hoffnung ist: der lebendige und liebende Gott, der den Tod bezwingt und das Leben will. Durch Jesus Christus, unseren Heiland und Herrn, der tot war und lebendig ist zu aller Zeit in Ewigkeit. Amen.
wo kämen wir hin, wenn wir alles glauben würden, was uns jemand sagt? Wenn ich Ihnen jetzt erzählen würde, ich hätte ein rosafarbenes Wildschwein auf dem Kirchendach gesehen, als ich hierher fuhr, was wäre dann? Würden Sie mir glauben? Oder würden Sie nicht viel eher sagen: Der spinnt aber heute unser Pfarrer. Das glaube ich erst, wenn ich es selbst gesehen habe, das rosafarbene Wildschwein auf dem Kirchendach. Wenn nun neun andere ebenso das rosafarbene Wildschwein gesehen hätten, und Sie selbst nicht. Selbst dann würde die Sache trotzdem ähnlich sein. Der Zweifel daran, ob es so etwas wie rosafarbene Wildschweine tatsächlich gibt und ob sie noch dazu in der Lage wären, auf Dächer zu klettern, der Zweifel daran würde bleiben, bis eine eigene Erfahrung an die Stelle des Zweifels tritt.
Nun, liebe Gemeinde, ich habe kein Wildschwein auf dem Dach gesehen, auch kein rosafarbenes, doch zeigt uns dieses Beispiel, wie wir uns in die Geschichte des ungläubigen Thomas hineinfühlen können, die wir eben im Evangelium gehört haben. Seine Freunde erzählen, dass ihnen Jesus begegnet ist, der doch vor einer Woche am Kreuz starb. Einmütig erzählen sie und berichten Thomas davon. Doch er war nicht dabei. Ist das denn glaubhaft? Der Meister und Freund, den er begleitet hatte, der ihn rief in ein neues Leben für Gottes Reich, war tot. Er hatte es selbst gesehen – von weitem, er war dabei. Was wollten die anderen ihm da erzählen. Hatte die unendliche Trauer um Jesus, die auch er in seinem Herzen spürte, die anderen wahnsinnig werden lassen? Es ist ein berechtigter Zweifel in ihm. Er sagt: Wenn ich ihn nicht selbst sehe, dann glaube ich euch nicht. Vielmehr noch: Er fordert eine ganzheitliche Erfahrung: Er will Jesus nicht nur sehen, sondern ihn auch anfassen. Erst dann möge sein Zweifel schwinden und sich in Glauben kehren.
Liebe Gemeinde, wir haben hier ein Grundproblem bei uns Menschen. Wir halten für wahr, was wir sehen, was unserer eigenen Erfahrung entspricht. Diese Weise, die Welt zu sehen, mag manch sonderbare Blüte tragen. Denn wir schauen auch weg, weil wir bestimmte Dinge nicht sehen wollen. Die Alkoholsucht eines Nachbarn, die Schläge und Gewalt in einer benachbarten Familie, die Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, die Armut in der Welt. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Das ist eine Seite. Unsere Blickrichtung bestimmt unsere Haltung zur Welt. So sagen viele unserer Zeitgenossen: weil ich Gott nicht gesehen habe, weil mir der Auferstandene selbst noch nicht sichtbar und fühlbar begegnet ist, gäbe es die ganze Glaubenssache gar nicht. Das wiederum ist vielleicht verständlich und manchmal würden wir uns selbst solche Begegnungen mit dem Heiligen wünschen, die uns gewiss und fest machen in unserem Glauben, in unserer Hoffnung. Doch wissen wir, wir leben nicht im Schauen sondern im Glauben. Und wir wissen und haben hoffentlich erfahren können, dass Gott uns ganz anders als anfassbar und sichtbar begegnet. Vielleicht in einer unerwarteten Hilfe in Bedrängung und Not, vielleicht in der Liebe eines anderen, vielleicht durch eine glückliche Wendung des Lebensweges. Ich könnte viele solcher Erfahrungen nennen, doch bleibt es auch an uns, diese Begegnungen zu deuten als heimliche Spuren Gottes in unserem Leben.
Zurück zu Thomas. Jesus gibt nach. Er erfüllt den Wunsch des Thomas nach Gewissheit, nach der persönlichen Erfahrung. Er tritt unter die Jünger und gibt sich durch den Friedensgruß zu erkennen. Er fordert Thomas auf, die Nägelmale zu berühren, ihm in die Seite zu fassen, ihn und seine Gegenwart mit eigenen Augen und Händen zu spüren. Die Geschichte beschreibt nicht, ob Thomas tatsächlich von diesem Angebot Gebrauch macht. Es folgt das Glaubensbekenntnis des Thomas, in wenigen Worten auf den Punkt gebracht: Mein Herr und mein Gott! Zugleich könnten wir Jesu folgende Worte als eine Schelte für Thomas hören: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du! Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Liebe Gemeinde, Gott mutet uns da einiges zu. Das aber ist unsere Situation. Wir sehen nicht und glauben doch. Unser Glaube ist darum nie statisch und fest. Es gibt wohl viele Grade der Gewissheit – auch und gerade unter Christen, auch und gerade in der Gemeinde, die Jesu Namen trägt. Wie viel Zweifel erträgt eine Gemeinschaft? Ich denke, das Besondere dieser Erzählung ist nicht nur die Verheißung der Seligkeit an uns, die wir nicht sehen und doch glauben wollen, sondern die Tatsache, dass der Zweifel unter uns als Gemeinde getragen und ausgehalten wird. So wie die Jünger dem Thomas Zeugnis gaben über ihre Erfahrung und Hoffnung, so wollen auch wir uns untereinander bestärken in der Hoffnung, die uns trägt.
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist die Auferstehung ebenso unwahrscheinlich wie ein rosafarbenes Wildschwein auf dem Kirchendach. Doch, liebe Gemeinde, im Glauben geht es nicht um Wahrscheinlichkeit, sondern um das, was uns trägt, was uns Kraft gibt zu Leben. Es geht um Hoffnung. Unsere Hoffnung ist immer unsichtbar, selbst wenn die Hoffnung nur ein größerer Gehaltsscheck ist oder etwas anderes banales. Was wissen wir schon von der Welt, wenn es uns nicht einmal gelingt, die gröbsten Probleme in unserer Gesellschaft zu beheben oder erst einmal zu sehen. Was, liebe Gemeinde, weiß schon ein Baum vom Leben der Tiere? Was weiß das Tier über das menschliche Leben? Was wissen wir von Gott und dem Leben, das über unseres hinausgeht? Das neue Sein, das Gott verheißt ist unsichtbar für unsere Augen, ebenso wie Gott selbst. Wie könnten wir seinem Anblick auch standhalten? In der Bibel sagt Gott oft: Wer mich sieht, der vergeht.
Der Zweifel des einen, ermöglicht den Glaubenden eine zweite Begegnung. Das, liebe Gemeinde, ist ein schönes Bild, das wir auf unsere Gemeinden übertragen könnten. Der Zweifel gehört zum Glauben hinzu. Erst wo ich Fragen stelle, kann ich auf eine Antwort warten und diese aufnehmen. Wo alles klar ist, da ist am Ende keine Antwort nötig. Doch sind wir alle Fragende und Suchende. Gott will, dass wir nach ihm fragen, dass wir ihn suchen. Wenn wir dies von Herzen tun, so will Gott sich finden lassen. Das, liebe Gemeinde, ist das Erstaunliche, dass Gott sich tatsächlich finden lässt, wenn wir ihn suchen. So kann der Zweifel uns erst die Tür öffnen für den Glauben. So kann – wenn wir uns gewiss fühlen – der Zweifel eines anderen, uns einladen, selbst wieder auf die Suche zu gehen. So kann uns das zu einer neuen, einer zweiten Begegnung mit Gott führen. Weil Thomas zweifelt, begegnet Jesus den anderen Jüngern ein zweites Mal.
Gottes Liebe ist stärker als jeder Tod. Gottes Antwort auf unsere Fragen ist Jesus Christus – nicht mehr und nicht weniger. Wir können nicht erwarten, dass der Inhalt unseres Glaubens beweisbar wäre, dann wäre es kein Gegenstand des Glaubens. Wir können aber Erfahrungen machen mit diesem Glauben. Wir sehen dann wahrscheinlich keine rosa Wildschweine, wir fassen damit nicht dem Auferstandenen selbst an seinen Händen. Unsere Erfahrungen könnten aber so aussehen: wir können Trost und Kraft schöpfen aus der Zusage, dass Gott uns liebt, wir könnten in Jesu Auferweckung erkennen, was uns heimlich bewegt, nämlich, dass es mehr gibt als wir sehen, wir könnten aus den Weisungen, die Gott uns offenbart hat, ein Leben führen, das nicht in die Irre führt, sondern auf der geraden und rechten Straße bleibt. Allein darin kann Leben gelingen und zum Glück schon hier und jetzt führen. Das alles sind Erfahrungen mit dem Glauben. Das alles ist möglich, auch wenn wir noch nicht sehen, was uns erwartet. Auch wenn wir nicht Zeugen der Auferstehung waren. Das Unsichtbare möge uns nicht schrecken, denn alles, was Hoffnung ausmacht, bleibt unsichtbar. So sind wir vielleicht wie Bäume, die keine Augen haben, um das nächst höhere Leben zu sehen. Wir erfahren es an unseren Wurzeln, an unserer Rinde, in unseren Zweigen und Blättern, aber sehen können wir es nicht. Möge die Erfahrung unseres Lebens und Glaubens wachsen, mögen wir seine Spuren auch bei uns entdecken, mögen wir uns immer wieder neu auf die Suche nach dem höheren Leben machen, mögen wir auch im Zweifel der Welt uns neu besinnen darauf, was der Grund unserer Hoffnung ist: der lebendige und liebende Gott, der den Tod bezwingt und das Leben will. Durch Jesus Christus, unseren Heiland und Herrn, der tot war und lebendig ist zu aller Zeit in Ewigkeit. Amen.
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