Liebe Gemeinde,
es sind schwierige Zeiten für unsere Gemeinde in Wahlwinkel. Wir werden jedes Jahr weniger, jedenfalls den nackten Zahlen nach. Und oft ist es so, dass wir denken, hier läuft nichts mehr. Würde man nach wirtschaftlichen Maßstäben schauen – und leider ist dieses Vorgehen in unseren Landeskirchen gerade sehr in Mode – dann würden wir wohl schlecht abschneiden. Wenig Veranstaltungen, wenig Gottesdienstbesucher, wenig Mitglieder, viel zu wenig Kirchgeld, schlechte Finanzen und und und … wir leiden darunter, wir, die wir mit unserem Herzblut an der Gemeinde hängen, wir, die wir uns hier versammeln, um Gottes Wort zu hören, Worte, die uns frei machen wollen und uns trösten, die uns Hoffnung und Liebe füreinander schenken. Ich denke, Analysen nach Zahlen oder Strukturen sind das eine, was wirklich zählt, ist, was Jesus selbst über seine Kirche denkt. Unser heutiger Text für die Predigt hat genau das Gegenteil vor Augen, vielleicht eine Gemeinde, in der die ganze Woche hindurch das Haus brummt vor Veranstaltungen und doch sagt Jesus über diese Gemeinde: Man sagt, ihr seid lebendig, doch in Wahrheit seid ihr tot! Ein hartes Wort. Hören wir den ganzen Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes. Der Auferstandene lässt den Seher der Gemeinde in Sardes schreiben:
„Dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben: die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert. Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“
Liebe Gemeinde! Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Dieser Brief, der einmal öffentlich tatsächlich in Sardes dieser Gemeinde vorgelesen wurde, der hat es in sich. Wie haben die Menschen wohl reagiert. Dem äußeren Anschein nach war alles in bester Ordnung, denn man sagte sich ja landauf landab: Das ist eine lebendige Gemeinde, die da in Sardes! Wir Wahlwinkler schauen vielleicht in dieser Weise nach Schnepfenthal, wo es an Kandidaten für den Gemeindekirchenrat nur so wimmelte, wo es eine warme Kirche gibt und gut besuchte Gottesdienste, wo die Welt noch in Ordnung scheint. Gleich um die Ecke, nur drei Kilometer weiter. Das ist eine lebendige Gemeinde. Ich kenne die Gemeinde in Schnepfenthal nicht und ich maße mir auch kein Urteil an. Doch auch dort wird heute dieses Sendschreiben verlesen und in der Predigt ausgelegt. Und es wird auch dort die Frage auftauchen: Was ist eigentlich das Zentrum? Ist es nur äußerer Schein oder spielt der lebendige Gott tatsächlich eine Rolle in unserem Leben? Das ist nämlich die zentrale Frage. Strukturanalysen und Zahlen interessieren Gott herzlich wenig – das sind unsere Hilfsmittel, die Welt zu verstehen. Was Gott wirklich interessiert, ist unser Herz, was Gott wichtig ist, ist, dass wir festhalten und wachsam sind, dass wir ihm unser Herz öffnen.
Welche Gemeinde lebt und welche tot ist, entscheiden nicht wir oder irgendwelche Gremien, die aufgrund von Zahlen Pfarrer versetzen und immer größere Kirchspiele bauen. Ob wir lebendig sind oder nicht, das weiß allein der, der unser Herz kennt – der ewige Gott, der Herzenskündiger. Und die tatsächliche Zahl derer, die sich zu Gott bekennen und ein Herzens- und Lebensverhältnis zu ihm haben, mag klein sein, besonders hier in Wahlwinkel und doch wird es gesehen vom Allmächtigen. Denkt daran, was ihr empfangen habt, und haltet fest daran und tut Buße!
Es ist unangenehm für viele in unserer Zeit, sich vorzustellen, dass jeder Schritt, den wir tun, beobachtet wird. Vor einigen Jahrzehnten war es noch ein Horrorszenario – George Orwell hat es 1949 in seinem Roman „1984“ beschrieben, die DDR hat dahingehend, was die Bespitzelung und Durchleuchtung der Privatsphäre angeht, noch einiges zugelegt. Doch sind wir heute mittendrin unter dem Deckmantel der Sicherheit: jedes Telefonat, jeder Klick im Internet, jeder Brief ist dokumentiert und aufgezeichnet. In größeren Städten sind Plätze und Gebäude videoüberwacht – rund um die Uhr. Was machen die Leute hinter den Kameras mit diesen Informationen? Viele dieser Informationen werden schon heute teuer verkauft, an Firmen, die uns plötzlich Briefe schreiben und schon genau wissen, welche Interessen wir haben, wann wir wo welches Produkt gekauft haben. Der gläserne Mensch ist bereits Wirklichkeit, doch kratzt dies nur an der Oberfläche.
Wenn wir wissen, dass einer ist, der unser Herz kennt, so mag das vielleicht noch mehr beängstigend sein. Denn hat nicht jeder von uns seine kleinen Geheimnisse? Hat nicht jedes Herz, jeder Mensch einen schwarzen Fleck, einen Abgrund, auch wenn er nur klein ist? Liebe Gemeinde, wir brauchen keine Angst vor dem zu haben, der unsere Herzen kennt! Gott wird lebendig für uns, in Jesus ist er fast mit Händen zu greifen. Schon in einem kleinen wehrlosen Kind kommt uns Gott entgegen und will uns berühren – Wie sollten wir vor einem kleinen Kind Angst haben? Es kommt in Frieden, unschuldig bis zuletzt, ohne Hintergedanken, aus reiner Liebe. Wir brauchen uns nicht fürchten vor diesem Gott, wenn wir ihm unser Herz offen legen und das ein oder andere verändern, das vielleicht falsch gelaufen ist. Gott will Veränderung, er will die Welt erneuern mit seiner Liebe.
Gefährlich wird es allerdings, wenn wir diesen heißen Draht zu Gott verlieren, wenn wir uns bewusst abwenden und vielleicht das Gegenteil tun, von dem, was uns als die Wahrheit verkündet ist. Dann besudeln wir unser Kleid, das wir empfangen haben in der Taufe. Nicht ein Kleid im wörtlichen Sinne, sondern unsere Kindschaft und Reinheit, die Gott uns als seinen Ebenbildern schenkt – in besonderer Weise durch die Taufe und die Zugehörigkeit zu Jesus, dem Auferstandenen. „Du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert!“
Liebe Gemeinde, wenn wir heute hier beisammen sind, dann bin ich gewiss, dieses Wort will uns Mut machen. Ich bin zwar noch nicht lange hier, doch weiß ich eines genau, das Reich Gottes ist in Wahlwinkel noch lange nicht angekommen, doch in den Herzen einiger Menschen - und dazu gehören Sie! – ist das Reich Gottes schon da, in unseren Herzen. Wo wir festhalten an dem, was wir empfangen haben von Gott, an unserem Glauben, unserer Hoffnung und unserer Liebe, da ist der lebendige Herr mitten unter uns – egal ob zwei oder drei oder zweihundert zum Gottesdienst kommen und sich äußerlich zur Gemeinde rechnen. Das lebendige Verhältnis zu Gott kann man nicht dem äußeren Schein nach oder in Zahlen messen. Es ist da oder nicht. Wo es ist, da wird Gott gegenwärtig sein, mit den Menschen wird er sein Reich bauen. Das ist Advent, liebe Gemeinde, warten, abwarten, auf das Unsichtbare hoffen, auch wenn die Zahlen nicht stimmen. Wir sind in dieser Wartehaltung nicht allein, dessen dürfen sie getrost sein! Mit allen Christen der Welt warten wir auf die Erlösung der Welt durch den, der unsere Herzen kennt, unsere Angst, unseren Zweifel, aber unser Vertrauen und unseren Glauben. „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, sondern seinen Namen bekennen vor meinem Vater und seinen Engeln.“ Diese Worte sagt der Auferstandene, der um die Bedrängnis weiß, die wir um seinetwillen erleiden. So trifft Gottes Wort heute wohl eher die großen scheinbar lebendigen Gemeinden und weniger uns, die wir festhalten wollen und uns vielleicht manchmal komisch dabei vorkommen. Unsere Wahlwinkler Kirche steht zwar mitten im Dorf, jeder kann sie sehen und jeder weiß genau, wie hoch die Hecke davor sein darf und dass die Turmuhr immer stehen bleibt. Das ist schon erstaunlich, denn die meisten haben tatsächlich kein Verhältnis zu ihrem Schöpfer, geschweige denn zu der Gemeinde, deren Anwesenheit der Turm und die Kirche repräsentiert. Gott sieht das Herz, das muss einen Gläubigen nicht schrecken, auch wenn wir nicht immer alles richtig machen. Doch über die Spötter und Nervtöter wird Gottes Tag kommen wie der Dieb in der Nacht. Also wachen wir und warten wir, wie es sich für eine christliche adventliche Gemeinde gehört. Wir erwarten noch mehr als die Hecke und die Uhr, wir erwarten den lebendigen Gott, die Vollendung der Welt. Möge Gott uns stärken und gewiss machen in unserem Festhalten an ihm, dass wir festhalten und überwinden. Dann werden wir in der Vollendung wandeln, denn allein Gott weiß, wer lebendig ist und wer tot.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.