Liebe Gemeinde,
alles ist gut! Vielleicht sagen sich das einige unter uns gerade, weil die Vorbereitungen auf den lang ersehnten Heiligen Abend hinter uns liegen, der Baum ist besorgt und geschmückt, die Besorgungen für die erwarteten Gäste an den Feiertagen erledigt, die Geschenke verpackt und manche gar schon ausgepackt. Die Kinder, die heute uns mit dem Krippenspiel die Heilige Geschichte vor Augen und Ohren geführt haben, sie sagen sicher auch „Jetzt kann Weihnachten losgehen. Alles ist gut!“ Die Aufregung, ob ich meinen Text hinkriege und ob alles klappt, ist nun vorbei. Alles ist gut! An diesem Heiligen Abend, auf den viele so sehnsüchtig gewartet haben, scheint alles gut. Für einen Moment sind alle Sorgen und Turbulenzen des vergangenen Jahres vergessen, bis sie spätestens am 2. Januar wieder an unsere Türen klopfen. Die Sorge um den Arbeitsplatz, die Schulnoten, die Zukunft, die Gesundheit – alles wird wieder auf uns einströmen. Aber jetzt ist Zeit zu sagen: Alles ist gut! Probieren Sie es einfach mal und sagen: Alles ist gut!
Ja, alles ist gut – das ist das große Geheimnis des Glaubens; Alles ist gut – das ist das tiefe Geheimnis der Weihnacht. Gott liebt diese Welt und die Menschen in ihr so sehr, dass er selbst sich hinein gibt in diese Welt. Er wird Mensch und nicht einfach, wie manch erdachter Außerirdischer in einem Film einfach vom Himmel fällt. Geboren von einer jungen Frau, ganz klein und hilfebedürftig, wie so ein kleiner Mensch halt ist. Auch wenn wir uns die Heilige Familie im Stall mit den Hirten und Königen immer so romantisch ausmalen, wenn wir genauer hinsehen, so ist da tatsächlich nur der stinkende Stall und die Armut und Einfachheit, die mit Händen zu greifen ist. Und doch ist alles gut in diesem Moment. Mit der ersten Weihnacht fängt die Menschlichkeit Gottes an – Jesus besteigt den Thron über die Völker der Erde. Er ist der verheißene Sohn, der Erlöser. In ihm wird uns von Gott vor Augen und Ohren gemalt, wie er zur Welt steht. Reine, sich verschwendende, ja sich aufopfernde Liebe ist Gottes Gefühl uns gegenüber. Wenn Gott uns liebt, ist dann nicht wirklich „Alles gut“?
Ja, es ist alles gut! Es ist z.B ein kleines Wunder, dass wir uns wie heute an einem kurzen Zeitpunkt im Jahr die Zeit nehmen für Gott, die Seele mal baumeln lassen, die Sorgen hinten anstellen und uns zusagen lassen, dass alles gut ist. Ich bin mir sicher, dass jemand, der mit der Kirche sonst wenig am Hut hat, auch zugeben wird, dass diese Weihnacht etwas Besonderes ist. Menschen geben sich Mühe in diesen Tagen. Wir wünschen uns Gute Feiertage, mancher gibt von seinem Überfluss denen ab, die weniger haben, wir besorgen Geschenke füreinander, wir versöhnen uns mit Menschen, mit denen wir uns verstritten haben. Selbst die kleinen Kinder mühen sich, artiger zu sein, als die Monate zuvor – es könnte ja sein, dass sonst die Geschenke gering ausfallen. Weihnachten ist das Fest der Harmonie, alles soll so gut und harmonisch wie möglich sein! Wenn ich die festlich beleuchteten und geschmückten Häuser sehe, so weiß ich, dass schon rein statistisch gesehen, nicht jeder Stern einem Christen gehören kann in unserem Ort. Und doch strahlt da etwas, das wir alle teilen: die Sehnsucht nach der heilen Welt, nach der erlösten Welt. Weil wir insgeheim alle wissen, dass die Welt in ihrer nackten Realität wahrlich kein Zuckerschlecken ist. Weil wir insgeheim wissen, da muss es noch mehr geben als Arbeit und Ärger. Und wenn es nur die zwei Feiertage sind. Das verbindet uns alle.
Doch bin ich nicht Pfarrer dieser Gemeinde, wenn ich am Heiligen Abend nicht auch davon reden würde, was das Zentrum von Weihnachten ist, wenn ich nicht sagen würde, warum alles gut ist! Der heutige Predigttext erzählt uns in knappen Worten, warum alles gut ist: Im 1. Timotheusbrief hören wir:
„Groß ist, wie jedermann weiß, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch – gerechtfertigt im Geist – erschienen den Engeln – gepredigt den Heiden – geglaubt in der Welt – aufgenommen in die Herrlichkeit.“ (1Tim 3, 16)
An Weihnachten geht es um das Geheimnis des Glaubens. Was wir insgeheim wünschen, das Heil der Welt, dass alles seinen Sinn und sein Ziel hat, das wird an Weihnachten lebendig – und doch bleibt es ein Geheimnis. Gott liebt die Welt, wenn Gott uns liebt, dann ist alles gut. So verschlüsselt und knapp unser Bibeltext heute ist, so konkret ist er für die, die vom Geheimnis des Glaubens ergriffen sind, die ihre Herzen dem heiligen Kind in der armseligen Krippe ihr Herz öffnen. Er ist offenbart im Fleisch – Gott ist Mensch geworden, hat unter uns gelebt und den Weg gezeigt, der richtig ist. Gott hat all das, was uns das Leben schwer macht, mitempfunden, von den ersten Zähnen bis zum bitteren Tod. Er hat uns als Mensch vorgeführt, wie diese Welt heil werden kann, wenn wir alle uns an die eigene Nase fassen und über unseren Schatten springen, wenn wir die Liebe wieder an die erste Stelle setzen.
Er – Jesus – ist gerechtfertigt im Geist. Die Welt hat den Gottessohn nur scheinbar aus dem Weg schaffen können. Er hat den Tod als letzte Fessel zerbrochen, im Heiligen Geist wirkt dieser lebendige Gott weiter in unseren Herzen und unseren Gedanken, in dem, was Menschen tun, wenn sie diesem lebendigen Gott vertrauen. Zu Weihnachten scheint das Kreuz Jesu weit weg zu sein. Knapp 30 Jahre lagen zwischen diesen Ereignissen – Geburt und Tod. Der Blick zur Krippe ist zugleich ein Blick auf die Erlösung am Kreuz – denn was ginge uns sonst irgendeine Geburt in einem Stall an, wenn sie keine Bedeutung weiter hätte, wenn das Baby nicht als Erwachsener für uns etwas bedeutete?
Erschienen den Engeln, die himmlische Welt öffnet sich mit Weihnachten. Die uns umfangenden Mächte Gottes, die Welt des Lichts und der Wahrheit eröffnen sich in der Ankunft des Herrn auf dieser Erde. Beides ist untrennbar miteinander verbunden in diesem Geheimnis. Auch die himmlische Welt empfängt das Kind in der Krippe als ihren Heiland. Und mal ehrlich: was wäre ein Krippenspiel ohne Engel? Was wäre Weihnachten, wenn nicht etwas viel Größeres, als wir selber sind, plötzlich nach unseren Herzen greift?
Gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt. Gottes Offenbarung, das Geheimnis des Glaubens erfasst die ganze Welt, es richtet sich an alle Menschen. Darum hat die frohe Botschaft Menschen erreicht, die kaum Hoffnung darauf hatten – die ausgegrenzt waren, wie die Hirten, oder aus fernen Erdteilen kamen, wie die drei Weisen, oder die litten unter ihrem Schicksal, die Lahmen und Blinden, die Kranken und Einsamen oder eben die Völker der Welt, die noch nie etwas von dem Schöpfer aller Dinge und seiner fleischgewordenen Liebe wussten. Gott legt sich nicht fest, wer würdig ist und wer nicht – er kommt zu allen. Auch das ist der Sinn von Weihnachten und Grund zur Freude und dem Ausruf: Alles ist gut!
Aufgenommen in die Herrlichkeit. Hier noch einmal die Verbindung von Göttlichem und Menschlichem, von Irdischem und Himmlischen. Jesus, Mensch und Gott zugleich, verbindet die Sphären. Er geht den Weg voraus, den alle Menschen von nun an gehen können, direkt in den Ursprung der Welt hinein, zurück zu Gott. Das Leben hat keine Grenze, denn Gott ist ein Gott des Lebens. In der Verherrlichung des Sohnes steckt noch ein zweites – Jesus herrscht über die Engel, wie über die Menschen – eine neue gemeinsame Sphäre tut sich auf. Der Himmel hat die Erde geküsst und nun sind sie verbunden durch Jesus, der seine Schafe den Weg zur Herrlichkeit führt.
Liebe Gemeinde, das alles ist Weihnachten. Das alles ist Grund zur Freude, denn alles ist gut. Gott liebt uns und stellt eine Verbindung her – wir dürfen nur nicht den Hörer auflegen. Sondern wir mögen uns hinein nehmen lassen in das große Geheimnis des Glaubens – wir müssen unsererseits die Verbindung halten, das Gespräch, das unser Leben verändern will, führen. Vielleicht ist manches von dem, was ich sagte, unklar geblieben. Es ist schwer über ein Geheimnis zu reden. Manchmal ist der einfache Weg im Leben gerade der, der uns zu einfach erscheint oder den wir einfach nicht sehen wollen. Am Heiligen Abend besteht die Chance, das Geheimnis des Glaubens in dem Wunder der Geburt eines kleinen Kindes zu entdecken. Ich weiß, es ist verwirrend für einen modernen Menschen. Wie kann Gott Mensch werden? In einem Stall? Wie können wir frei und erlöst werden durch den Glauben? Ich bin erst mit 14 Jahren getauft worden, weil meine Vorfahren kein Geheimnis des Glaubens mehr kannten. Glauben Sie mir, ich weiß bis heute nicht, wie das kam. Es bleibt für mich ebenso ein Geheimnis, wie der Glaube selbst ein Geheimnis bleibt, und wie seltsam Gott seine Wege geht mit dieser Welt. Gerade an Weihnachten werden diese seltsamen unerwarteten Wege Gottes gefeiert – die Geburt des Welterlösers neben dem Futtertrog für Ochs und Esel.
Ich wünsche uns allen, dass etwas von Gottes großem Geheimnis mit in die festlichen Stuben einzieht heute. Ich wünsche uns, dass wir unsere Herzen erheben an diesem Abend zu dem ewigen Gott, der alles gut machen wird und dessen Liebe uns sagen lassen kann: Alles ist gut! Ganz egal wie die Zeit danach aussehen wird. Weihnachten ist nicht nur heute, sondern immer. Diese Kraft kann strahlen und dauern bis über jeden Tod hinaus. Gott segne unseren Ort und alle Menschen. Er umhülle uns mit dem Geheimnis seiner Liebe. Amen.