Mittwoch, 6. Januar 2010
Predigt Heilig Abend 2009
erlauben Sie mir eine provokante Frage vorneweg: Warum sind Sie heute hierher gekommen? Die meisten Gesichter sehe ich in dieser Kirche nur heute Abend. Vielleicht würden Sie antworten: Weil das halt zu Weihnachten dazu gehört! Und tatsächlich, sie hätten recht: Denn Weihnachten ohne das Jesuskind ist wie ein Stuhl ohne Beine, zu nichts zu gebrauchen, sinnlos! Was ist es aber, dass uns alle Jahre wieder zusammen führt? Ich möchte es barmherzig so verstehen: Weihnachten ist wie eine Heimat. Ein Haltepunkt, eine Art Ort, der mir Sicherheit gibt in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Vielleicht denken Sie, die alten Texte, diese Geschichte von Jesu Geburt, die ärmliche Krippe, die Hirten, der Engel, das alles hat nicht wirklich etwas mit mir zu tun. Aber irgendwie ist es doch schön, anrührend, erinnert mich an frühere Zeiten, als Weihnachten in Ihrer Erinnerung noch richtig Weihnachten war. Was treibt uns in die Kirche am Heiligen Abend? Ich unterstelle einfach mal, dass da tief in Ihnen eine Sehnsucht tickt, eine Sehnsucht, die wir alle teilen: die Sehnsucht nach der heilen Welt, eine Welt, die Sinn macht. Eine Welt, die nicht nur oberflächlich vor sich hin plätschert. Für diesen Abend soll alles gut sein! Alles ist gut! Sie erinnern sich an den Anfang unseres Gottesdienstes? Doch ist tatsächlich alles gut? Wo komme ich jetzt gerade her? Wochen von Vorbereitungen, Arbeit bis kurz vor den Feiertagen, gar heute noch. Vielleicht ein Streit wegen des Baums oder des Essens, wegen des bevorstehenden Besuchs. Ein Anderer feiert Weihnachten erstmals ohne einen geliebten Menschen, weil der Tod oder eine Trennung ihn oder sie von einem riss. Mancher ist krank oder geht in eine leere Wohnung zurück. Ganz zu schweigen von den Millionen in der Welt, die an diesem Heiligen Abend hungern oder verfolgt werden, die eingesperrt sind oder schwer krank, Menschen ohne Hoffnung und Licht am Ende des Tunnels. Wir brauchen gar nicht so weit weg gehen in unseren Gedanken, denn unsere Welt ist eine permanente Krise, im Großen wie im Kleinen. Die Sorge um den Arbeitsplatz, die Sorge um die eigene Gesundheit, die Sorge um das Wohl derer, die einem am nächsten stehen, Leistungsdruck für die, die Arbeit haben, sinnentleerte Monotonie für die, die scheinbar die Gesellschaft nicht mehr braucht. Das alles lässt uns nicht los. Vielleicht können Sie am heutigen Heiligabend loslassen. Für einen kurzen Moment die Sorgen Sorgen sein lassen. Ohne daran zu denken, was nach den Feiertagen kommt – die ganze Arbeit, die ganze Sorge, die Angst, der Druck, der triste Alltag? Weihnachten ist mächtig – darum sind Sie alle da. Die Welt ist Krise und Weihnachten ist Krisenfest. Krisenfest in eben der Mehrdeutigkeit des Wortes – ein Fest der Krise. Inmitten der Krise kommt Gott und wird einer von uns, er gibt sich uns zu erkennen. Jesus ist das lebendige Wort Gottes. Nichts war und ist seither, wie es war. Gott wohnte unter uns. Und: Weihnachten ist krisenfest, inmitten aller weltweiten und ganz persönlichen Krisen bleibt das große Weihnachtsgeheimnis unerschütterlich bestehen – es bleibt im Wechsel der Konzerne und Regierungen, es bleibt in Krankheit oder Sorge, in Freud und Leid. Weihnachten ist jedes Jahr und das nicht nur kalendarisch, sondern im ganz und gar wörtlichen Sinne: Gott ist da, er ist bei uns, denn euch ist heute der Heiland erschienen. Auf diese Weise, liebe Gemeinde, lese ich den Predigttext aus dem Titusbrief heute, der zunächst wenig weihnachtlich daher kommt: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken."
Bleiben wir beim ersten Satz, denn da steht schon alles: Es ist erschienen die Gnade Gottes allen Menschen. Das, liebe Gemeinde ist die große Botschaft der Weihnacht. Die Gnade Gottes ist keine Tugend, keine Idee und kein aufgeladener Begriff. Die Gnade Gottes kackt die Windeln voll, liebe Gemeinde. Die Gnade Gottes wird aller vier Stunden von ihrer Mutter gestillt. Die Gnade Gottes verpennt einfach die besten Stunden am Heiligabend. Gott wird ein Gott mit menschlichem Antlitz. Gott wird einer von uns – hungrig, kackend und schlafend. Er wird einer von uns. Er ist keine Schicksalmacht in den Sternen, der wir gewaltsam ausgeliefert wären. Sondern Gott teilt unsere Ängste und Sorgen, unsere Freuden und Glücksgefühle. Gott wird einer zum Anfassen. Das ist das Wunder der Weihnacht. Eine Botschaft, die uns erst die Engel mitteilen müssen, weil wir es mit eigenen Augen nicht sehen könnten. Denn wer erwartet die Herrlichkeit Gottes in einem stinkenden und zugigen Holzverschlag, den wir noblerweise noch Stall nennen. Die heilsame Gnade Gottes ist erschienen allen Menschen. Gott will mich umarmen, wie ein kleines Baby seine Eltern umarmt, wie liebende Menschen einander umarmen, wie sich versöhnende Menschen einander umarmen. Er kommt mit offenen Armen, unschuldig und ehrlich wie ein kleines Kindlein. Er kommt und zeigt mir in Jesus, dass er auf meiner Seite ist. Und das Große an dieser Botschaft ist: diese Zuwendung Gottes gilt allen Menschen, nicht nur mir allein. Auch dem lieben Menschen, den ich heute vermisse, den Tod oder Umstände von mir entfernt haben, auch ihm oder ihr ist erschienen die Gnade Gottes. Das führt uns wieder zusammen. Auch dem Menschen, mit dem ich mich verstritten habe, auch ihm oder ihr ist erschienen die Gnade Gottes. Vielleicht lässt dieses Weihnachtswunder uns einander mit anderen Augen sehen lernen. Auch den vielen Menschen da draußen, in … oder in der weiten Welt, wie dreckig oder blendend es ihnen auch geht, auch ihnen ist die Gnade Gottes erschienen. Dem alle Engel dienen, wird ein Kind und Knecht. Und das aus lauter Liebe, damit wir ihn endlich erkennen. Das, liebe Gemeinde, ist Grund der weihnachtlichen Freude. Ich hoffte, dieses große Gefühl ist es, warum Sie heute Abend hierher gekommen sind, auch wenn sie es nur ahnungsweise fühlen. Die Sehnsucht steckt in uns allen, glauben Sie mir! Eine Sehnsucht, die vielfach verschüttet ist, weil die Erziehung gottloser Staaten uns leider zu dem machte, was wir sind. Gottes Gnade ist erschienen allen Menschen, ob Kirchenmitglied oder nicht. Dem in Jesus lebendigen Gott brauchen wir nur folgen, auf ihn können wir hören, denn er ist das wahre Wort, das uns frei macht, er ist das lebende Wort Gottes. Gott ist einer von uns, in Windeln gewickelt. Und er wirft sich selbst in die Waagschale für uns. In Weihnachten steckt die ganze große Geschichte der Liebe Gottes für uns schon drin. Gott kommt zur Welt, er wird wie wir, lebt und lacht wie wir, leidet und stirbt wie wir und zeigt uns die Wege darüber hinaus. Alles für uns. Aus lauter Liebe. Einfach so. Es ist erschienen die Gnade Gottes allen Menschen. Wenn das kein Grund zur Freude ist. Wenn das kein Grund ist, zu rufen: Alles ist gut! Amen.
Predigt Hörselgauer Kirmes 2009
Liebe Kirmesmädels und –burschen, liebe Festgemeinde,
ich freue mich jedes Jahr, dass in Hörselgau die Kirmes, ganz wie es sich gehört, in der Kirche ihren Anfang nimmt. Kirmes, die Kirchweih, das Erinnern daran, dass wir Gott einen sichtbaren Platz in unserer Mitte gegeben haben, unsere Vorfahren, und wir heute, die wir angehalten sind, das Ererbte zu pflegen und zu bewahren. Aus Freude darüber und im Gedächtnis an die Hörselgauer, die im Schweiße ihres Angesichts dieses Bauwerk errichteten, trinke ich wie in jedem Jahr einen guten Schluck aus der Hopfenblütenkaltschale … Prost. Es möge gelingen!
Liebe Gemeinde, für heute Abend habe ich eine Geschichte mitgebracht aus dem Alten Testament, dem ersten Teil unserer Bibel. Eine sehr alte und mystische Geschichte. Jakob ist auf der Flucht. Er flieht vor dem Zorn seines älteren Bruders, den er um den Segen seines Vaters betrogen hat. Er flieht und ist allein. Die Nacht kommt. Keine Hütte, kein Haus in Sicht. Er kommt an einen Hügel, legt sich die Steine zurecht, damit er Platz findet und legt sich schlafen. Im Traum sieht Jakob den Himmel offen. Eine Leiter verbindet diese Welt mit der anderen Welt Gottes. Auf dieser Leiter steigen Engel auf und ab. Gott selbst spricht zu Jakob im Traum und verheißt ihm: „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“ Jakob erwacht und weiß, das war etwas Besonderes. Das geschieht mir nicht alle Tage, hier ist ein heiliger Ort. Er sagt: „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.“ Er nimmt Steine und errichtet ein Mal, um diesen Ort zu kennzeichnen. Und Jakob gab dem Ort den Namen Bet-El, auf deutsch Haus Gottes.
Liebe Kirmesgemeinde, dies ist eine Geschichte, die uns erzählt, warum manche Orte heiliger sind als andere. Heilig bedeutet nichts anderes als herausgehoben, besonders, getrennt vom Alltäglichen. Menschen sind auf dem Weg. So wie Jakob auf dem Weg war. Einer, der auszog, um sein Glück, sein Leben zu suchen. Manchmal sind wir wie Jakob auf der Flucht. Unser Leben ist eine Suche, eine Flucht nach vorn. Wir suchen eine Arbeit, die uns satt machen kann, eine Familie, damit wir nicht alleine bleiben, Freunde, um Gemeinschaft zu haben, wir suchen letztlich auch nach uns selbst, wer wir sind und warum wir hier sind. Leben ist Bewegung, wir gehen einen Weg. Doch wie auf einer langen Wanderung brauchen wir Orte, um auszuruhen. Wir brauchen etwas, dass uns Halt gibt in der sich stets wandelnden Welt. Solch ein Ort ist Gott selbst, der, der immer der gleiche bleibt vom Anbeginn der Welt bis an das Ende der Zeit. Heilige Orte entstehen dort, wo Menschen Erfahrungen mit diesem ewigen Gott machen. So zeigt es uns Jakobs Geschichte. Er sieht den Himmel offen. Er sieht im Traum, dass es mehr gibt als seine Angst, als seine Flucht, sein Weg, von dem er nicht weiß, wohin die Reise gehen wird. Es gibt mehr als dich und das, was du sehen kannst. Und manchmal siehst du es im Traum, oder erahnst es in stillen Minuten. Gott ist da – das ist der Kern dieser Geschichte. Gott ist da, auch wenn du ihn nicht sehen kannst. Aber sein Himmel ist offen. Seine Engel sind seine liebenden Hände, die dafür sorgen, dass du behütet bleibst, dass wahr wird, was Gott dir verspricht. Er ist da und du brauchst keine Angst haben. Gehe deinen Weg, aber vergiss nicht, dass Gott mit dir geht, dass der Himmel über dir offen steht.
Diese Erfahrung macht den Ort der Erfahrung zu einem heiligen Ort. So oder ähnlich wird es an den vielen Orten gewesen, an denen in frühen Zeiten Kirchen gebaut wurden. Menschen machen Erfahrungen mit Gott. Sie fühlen sich bewahrt nach schweren Zeiten der Not und der Krise. Sie fühlen sich geliebt, weil ihnen Familie und eine Heimat geschenkt sind, sie machen in ihrer Mitte dem Platz, dem sie sich verdanken. Sie errichten ein Bet-El, ein Haus Gottes. Solch ein Ort ist unsere Bonifatiuskirche in Hörselgau auch, deren Kirchweih wir heute feiern, ein Haus Gottes. Gebaut nicht nur aus Steinen und Holz, sondern aus den Erfahrungen, die Menschen dieses Ortes mit Gott gemacht haben. Und dieser Bau ist noch lange nicht zu Ende. Auch unsere Erfahrungen mit Gott bauen weiter an dieser Kirche. Jedes Gebet, jeder Segen, der hier gesprochen wird, jedes Lied, jedes Fest füllt diesen Raum an mit unseren Erfahrungen vom Leben – unsere Klage und Sorgen genauso, wie unsere Freude und unser Dank. Dass es solch einen Ort gibt, wo wir in der langen Geschichte selbst eingereiht stehen, macht diesen Ort zu etwas Besonderem, etwas Heiligem.
Nun ist es ja so, dass Jakob seinen Bau nicht vollendet. Er zieht weiter. Doch bleibt der Ort seiner Begegnung mit Gott in seinem Herzen. Er hat sich vorgenommen, wieder zurück zu kehren, wenn er seinen Weg gegangen ist. Jakob sagt: „Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe, soll ein Gotteshaus werden.“ Viele Jahre später kehrt Jakob zurück. Er ist ein gemachter Mann, hat großen Besitz erwirtschaftet, eine große Familie, Vieh und Knechte. Er kehrt zurück und wiederum ist es eine Stätte der Begegnung mit dem Höchsten. Gott gibt Jakob einen neuen Namen. Israel soll er heißen, die Wurzel eines ganzen Volkes ist er geworden. Der Segen, das Mitgehen Gottes ist zu etwas Sichtbarem geworden. Keine Spur mehr von der Angst und dem Verlassensein auf der Flucht. Die Frage: Wie wird es weitergehen?, hat Gott selbst beantwortet mit all dem, was er Jakob an Gutem angedeihen ließ. Wer die Jakobsgeschichte kennt, der weiß, dass dies kein leichter Weg war, sondern steinig und schwer. Es fällt uns nichts in den Schoß, sondern wir müssen uns manchmal abstrampeln. Und doch verheißt Gott, dass wir Lohn empfangen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott es gut mit uns meint. Dass er da ist, auch wenn wir in Zeiten von Trübsal und Sorge meinen, da wäre nichts. Im Gegenteil, gerade da ist Gott uns am nächsten, zeigt er uns den Himmel zu sich offen.
Wenn wir Kirchweih feiern an diesem Wochenende, dann feiern wir mit Dank nicht einfach ein Gebäude, sondern das Geheimnis, dass Gott gegenwärtig ist, für uns Hörselgauer an diesem Ort, aber auch auf allen unseren Wegen, die wir gehen. Denn auch hier an diesem Ort, wird die Verheißung Gottes laut und deutlich ausgesprochen: Siehe, ich bin bei dir und behüte dich, wohin deine Wege dich auch führen. Dafür können wir freudig und dankbar sein. Gott segne unsere Kirche, die Gemeinschaft der Christen im Ort und der Region, er lass uns spüren, dass er mit geht. Er lasse uns alle immer wieder zurück kehren an die Stätten, die ihm geheiligt heißen. Konkret an diesen Ort. Dahin, wo unser Erleben und Erleiden durch Gott gestärkt und aufgerichtet wird. Wo wir Kraft und Segen erfahren für alles, was vor uns liegt. Im Herzen dürfen wir spüren, dass Gott da ist, an jedem Ort. Amen.