Liebe Kirmesburschen und –mädels, liebe Festgemeinde,
letztes Jahr habe ich über die Vorzüge einer kühlen Hopfenblütenkaltschale gepredigt. Ich habe erzählt, dass Gott möchte, dass wir feiern, weil wir dann unseren Alltag hinter uns lassen und uns erheben zu einer höheren Bestimmung. Freilich meint höhere Bestimmung nicht, dass wir soviel saufen, dass wir unseren Namen nicht mehr kennen und uns benehmen wie das liebe Vieh. Höhere Bestimmung meint, von den kleinen Dingen einmal abzusehen, sie loszulassen und den Blick zu weiten auf das, was größer ist als wir und unsere manchmal kleine Welt. Ein Bierchen also gehört dazu, zur Kirmes – darum auch dieses Jahr wieder ein Bier für den Pfarrer. Prost! Wenn man so beim Bier sitzt, denkt man über manches nach. Heute stelle ich mir und euch die Frage: Wozu brauchen wir eigentlich eine Kirche? Das ist für viele gar keine philosophische oder tiefgründige Frage, sondern die Frage selbst enthält schon die Antwort, wenn ich sie z.B. so stelle: Wer braucht schon die Kirche? Erst gestern hatte ich wieder zwei Austritte aus Hörselgau auf meinem Schreibtisch, da stand es quasi schwarz auf weiß: Wir brauchen die Kirche nicht! Und das einen Tag vor Kirchweih. Wie sehr der ehemals heilige Boden, auf dem wir jetzt uns befinden wertgeschätzt wird, sieht man daran, dass es wohl Hörselgauer gibt, die sich auf deutsch gesagt, nicht entblöden, ihr Geschäft auf dem ehemaligen Gottesacker am helllichten Tag zu machen oder nachts die Leichenhalle abzufackeln. Was, liebe Kirmesgemeinde, brennt als nächstes? Wohl gar die Kirche selbst? Wozu brauchen wir die Kirche also? Landauf landab gibt es ja auch Kirmes ohne Gottesdienst. Wenn man mich fragt – verfehlt das nicht nur den eigentlichen Kern, sondern genauso ist, als wenn wir uns alle einen Turban aufsetzen um damit alte germanische Bräuche wiederzubeleben, weil es halt irgendwie cool aussieht. Eine Kirmes ohne Kirche ist eben nur eine mes, und auch die Messe ist ja ein Gottesdienst. Ich denke, es ist gut und richtig, dass ihr, die Hörselgauer Kirmesgesellschaft an der alten Tradition festhaltet. Freilich steht der Spaßfaktor erstmal im Vordergrund und für manchen von euch ist sicher der Gang hierher, einmal im Jahr oder vielleicht zweimal eine Art Pflicht vor der Kür. Doch die eigentliche Frage stellt sich zu jeder Kirmes: Wozu brauchen wir die Kirche? Ich möchte zwei Gedanken dazu laut werden lassen. Erstens, wozu brauchten unsere Vorfahren diese Kirche? Und zweitens, wozu brauchen wir sie heute? Beides geht eigentlich ineinander über, weil wir das Rad nicht neu erfinden, sondern von den Erfahrungen der ganzen Menschheit leben.
Kirchen als Gebäude erzählen von der Sehnsucht des Menschen nach seinem Ursprung bei Gott. Kirchen sind deshalb größer gebaut, weil vormals noch fast alle zum Gottesdienst kamen, das ist das eine. Sie sind aber vor allem deshalb größer, weil in ihnen die Menschen ihrem Glauben und ihrer Hoffnung ein Denkmal gesetzt haben. Die größten Bauwerke unserer Zeit sind dagegen die Wolkenkratzer der großen Firmen und Konzerne. Vielleicht verknüpft sich ja in ihnen auch eine Hoffnung nach Profit, nach Wohlstand, nach Besitz. Der große Traum des Menschen, Gott nicht mehr brauchen zu müssen. Es offenbart sich in der Geschichte immer wieder, dass diese Selbstvergötterung in die Irre führt. Die jetzige weltweite Finanzkrise zeigt: wir werden bald wieder aufwachen aus diesem Traum. Unsere Gier und Welt- und Gottvergessenheit schwappt wie eine gigantische Welle zurück. Was, wenn das Ersparte von heute auf morgen nichts mehr wert ist, was, wenn unser Wohlstand und Menschsein nur auf bedruckten Papier gebaut ist? Ich nehme an, dass viele derjenigen, die jedes Jahr der Kirche den Rücken kehren solches eben aus finanziellen Gründen tun. Da bleibt dann vielleicht noch einer in der Familie drin, meistens die Kinder. So ein bisschen Segen ist ja ganz gut, solange wir nichts dafür bezahlen müssen. So haben unsere Vorfahren nicht gedacht. Wer damals nicht zur Kirche ging, musste entweder schwer mit den Tieren und dem Acker beschäftigt sein, sterbenskrank oder bald seine Koffer packen und im Wald leben. Nicht zum Abendmahl zu gehen, war ein Makel, fast so wie ein schlecht gemachtes Tattoo mitten im Gesicht. Das war eben so. Aber nicht weil die Kirche mehr Macht hatte, sondern weil die Menschen sich und ihre Welt noch mit anderen, mit ursprünglichen Augen sahen. Sie mussten sich ihre Welt hart erkämpfen. Sie waren noch in einer ganz elementaren Weise verbunden mit dem Boden, auf dem sie standen und darin mit Gott selbst. Sie erfuhren, dass sie angewiesen waren auf Gott und darin auf ihre eigene Kraft. Sie konnten nicht wie wir heute mit der Kreditkarte zum REWE fahren, um noch zu besorgen, was fehlt. Sie mussten erkämpfen und der guten Schöpfung abringen, was nötig war. Unsere Vorväter und –mütter haben dadurch begriffen, dass sie nichts sind, ohne die gnädige Hand Gottes, ihres Schöpfers. Darum spielte gerade auf dem Land der Dank nach der Ernte eine so große Rolle. Darum wurden Kirchen gebaut, um die Verbundenheit mit dem Urgrund allen Lebens in Stein für alle Ewigkeit sichtbar zu machen. Ein Tempel mitten im Alltag, in dem das Herz zur Ruhe und Andacht findet und sich zu Größerem erhebt. Ein Ort, wo wir das sein können, wozu wir bestimmt sind – Kinder Gottes, Menschen, die begreifen, dass es mehr gibt als Essen und Trinken, Chips und Bier, Arbeit und Schlafen. Viel, viel mehr als das! Was früher selbstverständlich war, ist wohl heute eher die belächelte Ausnahme. Unsere Kirche z.B. ist vielleicht zweimal im Monat im Gebrauch und das auch nur in den wärmeren Monaten. Gottes Wort und Sakrament erreicht dann vielleicht die letzten treuen Seelen.
Das hat sicher viele Gründe. Ich kann noch soviel in die E-Gitarre reinschrammeln, oder die Botschaft, um die es geht, in unsere Zeit und Nöte und Hoffnungen hinein übersetzen. Ich kann das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Von den Diktaturen in unserem Land ist eines ganz besonders hängen und haften geblieben – die negative Antwort auf die Frage, Wer braucht schon die Kirche? Niemand. Und mit dem Wort Kirche ist ja nicht nur das Gebäude gemeint, obwohl es das Symptom am sichtbarsten trifft. Kirche ist die Gemeinschaft derjenigen, die mehr sein wollen als das, was sie auf dem Konto haben, die mehr vom Leben erwarten als feste Nahrung und ein bisschen Action. Menschen, die erfahren haben, dass wir gewollt sind und getragen von guten, liebevollen Mächten, Menschen, die einem ganz elementaren und wichtigen Wert in ihrem Leben nachleben, der Liebe.
Liebe Gemeinde, Ich möchte nicht wehleidig wirken oder verbittert. Es ist freilich die Lage – und ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse, Pfarrer zu werden. Doch wenn wir heute zur Kirchweih die Frage bedenken: Wozu brauchen wir Kirche? dann darf und muss sogar die Realität auf den Tisch. Ich bin mir ganz sicher, dass die Kirche der einzige Ort ist, wo wir Wahrheit wieder lernen können. Es ist der Ort und die Gemeinschaft, wo wir etwas über uns selbst erfahren, etwas das uns kein Produkt der Welt erzählen kann. Vielleicht ist es auch der einzige Ort, an dem wir so sein können oder werden können, was wir sein sollen. Der Ort, wo wir nicht die Rolle spielen müssen, die uns aufgedrängt wird in einer Welt, die mehr Schein als Sein ist. Und das alles, liebe Gemeinde, weil Gott uns liebt und Ja sagt zu uns, weil er uns und die Welt erlösen will. Darum brauchen wir die Kirche, und möglicherweise brauchen wir sie am meisten, wenn die Welt so verworren und schnelllebig ist wie heute.
Ich denke, Kirchweih, Kirmes, ist ein guter Anlass dafür, dass wir uns bewusst werden, woher wir kommen und wohin wir gehen. Das eindrückliche Gebäude gibt uns diese Frage mit auf den Weg. Was macht das alles hier für einen Sinn und wo ist der Hafen, in den meine unruhige und ziellose Seele einlaufen kann? Wenn wir an diesem Wochenende miteinander Kirmes feiern, dann, weil wir uns erheben wollen über das liebe Vieh auf der Weide und wirklich Menschen werden, die wie Jesus, dem Herrn der Kirche, sich dem Geheimnis, das wir Gott nennen, nähern, mit jedem Kirchgebäude, mit jeder guten Tat und mit jedem mit Genuss getrunkenen Bier. Ich wünsche uns allen gute Erfahrungen damit, wie es ist, nach dem Höheren und Gutem zu streben. Gott hat immer offene Ohren und Arme für uns. Er sucht uns und geht uns nach. Ich wünschte, wir würden ab und an in seine Richtung gehen. So wie viele unserer Vorfahren es taten. Manches würde sich klären und in einem ganz anderen Lichte erscheinen. Gott segne dieses Haus zu seiner Ehre, er segne die Kirmesjugend, die ganze Gemeinde, unser Hörselgau und alle Menschen hier, ob sie Gott vertrauen oder nicht. Das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.