Liebe Gemeinde,
Sie haben in den vergangenen Tagen sicher im Briefkasten den aktuellen Kirchgeldbrief gefunden. Manche holen dann ein geflügeltes Wort heraus und sagen: Die Kirche will immer nur unser Bestes – unser Geld! Nichtsdestotrotz zahlen die meisten Glieder unserer Gemeinde gerne ihr Kirchgeld, weil sie wissen, dass es gut aufgehoben ist für den Erhalt des Kirchgebäudes, die Arbeit mit den Kindern, Konfirmanden und Senioren und vieles mehr, dass nicht so schnell zu sehen ist.
Was hat das mit Gerechtigkeit zu tun? Mit der Liebe zum Nächsten, die das Thema des heutigen Sonntages ist? Wenn wir etwas Gutes tun für jemand anderen, dann tun wir uns selbst etwas Gutes. Im Falle des Kirchgeldes bleibt das Geld ja hier vor Ort und kann auf Umwegen den Gebern selbst wieder ein Nutzen werden. Das meint es, wenn ich sage: Es ist gut angelegt. Blicken wir aber auf die große Elisabeth-Verehrung in diesem Jahr, so wird deutlich, dass Barmherzigkeit und Nächstenliebe das eigene aus dem Blick verliert.
Liebe ist zunächst in reiner Form und ganzer Macht selbstlos. Und doch sind wir immer auch erst fähig, einen anderen Menschen zu lieben, wenn wir uns selbst lieben gelernt haben. Denn es gibt ja diesen Zusatz „wie dich selbst“ im Gebot der Nächsten: „Du sollst Gott den HERRN und deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Die Selbstliebe ist also wichtig für die Fähigkeit, Liebe anderen Menschen zu schenken.
In unserer Zeit sehe ich zwei Extreme dieser Liebesfähigkeit. Zum einen diejenigen, die nicht in der Lage sind sich selbst zu lieben, die frustriert sind über ihr tägliches Los, die Suche nach Arbeit, die zerbrochene Beziehung, die in einer Gesellschaft leben, in welcher der Markt den Wert eines Menschen bestimmt. Hinzu kommt, dass die intakte Familie, früher gar in vier bis fünf Generationen in einem Haus, längst nicht mehr der Maßstab ist. Sicherlich ist die Familie nicht immer nur ein heilsamer Ort. Auch hier leben Menschen zusammen, die sich oft schwer tun sich selbst und vor allem andere zu lieben.
Das andere Extrem ist die Selbstliebe selbst, die bei sich bleibt. Das Motto: ich bin mir selbst der Nächste! oder: Ich glaube nur an mich und meinen Vorteil! Beides – die fehlende Selbstliebe, die unfähig zur Liebe wird, als auch die übersteigerte Selbstliebe sind Irrwege. Lieblosigkeit führt zu Babyleichen im Müllsack, zu verprügelten Menschen in Mügeln, zur Gewalt in der Familie, körperlich oder seelisch grausam. Übersteigerte Selbstliebe kann ähnliche Folgen haben, die wichtigste ist jedoch, dass mir mein Mitmensch egal wird, wenngleich ich theoretisch damit rechnen muss, dass auch er ebenso liebenswürdig ist, wie ich selbst und ähnliche Ziele verfolgt, wie ich selbst. Wir werden zum Konkurrenten des Nächsten. Einer ist dem anderen ein Wolf!
Wenn in unserer heutigen Zeit Gutes getan wird, sei es durch Spenden oder ganz praktische Hilfe an und für bedürftige Menschen, dann schwirrt vielen im Hinterkopf: Was bringt denen das? Und es ist ganz klar: für Sponsoring gibt es eine Gegenleistung. Einen Zeitungsartikel, der den Namen der Spender erwähnt mit Foto und Überschrift, eine Sponsorentafel, eine Werbungsanzeige im Vereinsblättchen, eine Einladung zu Festen, ein Ehrenplatz in den vorderen Bänken der Kirche bei Einweihungen. Zumindest ist es in unserer Gesellschaft noch der gemeinsame Nenner, das eine gute Tat eine gute Tat bleibt und entsprechend gewürdigt werden muss. Das ist ein wesentliches Element unserer christlich-abendländischen Kultur geblieben, das bislang – dem Herrn sei Dank – noch nicht dem Wandel der Werte oder anders gesagt dem Loslassen von allgemeinchristlichen Wertvorstellungen zum Opfer gefallen ist. Eine gute Tat bleibt eine gute Tat. Mit anderen Worten: „Tue Gutes und rede darüber!“
Beinahe unverständlich muss da das Wort Jesu uns vorkommen, das der heutige Predigttext ist. In der alle Grundfesten menschlicher Selbstliebe und Lieblosigkeit erschütternden Bergpredigt redet Jesus von der neuen Gerechtigkeit Gottes, die alles vorherige übertrifft. Bei Matthäus hören wir Jesus über das Almosengeben sagen (Mt 6, 1-4):
„Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,
damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten."
Wort des lebendigen Gottes. Liebe Gemeinde, auf den ersten Blick straft das alle lügen, die nicht im Verborgenen sondern in der Öffentlichkeit Gutes tun. Der Markt, der sich um Spenden bemüht ist dicht. Die Kirchen mit ihren zahlreichen Projekten, internationale Hilfsorganisationen, die Vereine vor Ort. Da braucht es Pressegespräche, große Werbeplakate und Flyer, die in jedem Haushalt landen. Alle wollen unser Bestes, unser Geld. Aber es ist gut und richtig, wenn wir sehen, vor Augen geführt bekommen, was mit unserem Geld geschieht. Daher die Aufklärung, die Öffentlichkeit und das ganze Theater. Als damals Jesus diese Mahnung seinen Zeitgenossen sagte, da war z.B. das Almosengeben für Bedürftige gang und gebe. Unser modernes Phänomen: „Ich bin mir selbst der nächste“ gab es nicht. Jeder, der etwas zu geben hatte, gab etwas von seinem ab. Das war selbstverständlich. Denn es ist Gottes heiliger Wille. Was Jesus hier anmahnt, ist nicht, dass die Menschen etwas geben sollen, sondern die Art und Weise, wie sie es tun, wenn sie etwas geben.
Die Selbstsucht und Selbstliebe sind es nämlich, die das Geben trüben können. Zur Zeit Jesu trieb die Selbstdarstellung reicher Geber seltsame Blüten. In den Synagogen wurde im Gottesdienst das Horn geblasen, um die Mildtätigkeit eines reichen Gebers vor Gott zu bringen, diesen zu empfehlen, auf ihn aufmerksam machen, nicht nur vor Gott sondern vor all den anderen, die sicher auch nicht wenig im Verhältnis dazu gegeben hatten. Dagegen wendet sich Jesus, wenn er sagt: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Die Anerkennung der Gesellschaft, das große Spektakel, die Genugtuung für sich selbst. Reine Selbstliebe also.
Gott will aber, dass unser Herz sich frei entschließt dazu, etwas, was wir uns selbst gönnen, davon auch anderen abzugeben, die weniger oder gar nichts haben. Weil es aus Liebe zu Gott und den Menschen geboten ist. Gott sieht das Verborgene, nichts bleibt im Dunkeln vor dem Lichte des Herrn. Es wird alles aufgedeckt werden. Ähnliches wie über das Almosen sagt Jesus wenig später über das Beten und Fasten, die anderen religiösen Übungen, die den Menschen rein und gerecht werden oder bleiben lassen. Die Öffentlichkeit ist eigentlich nicht notwendig. Denn es ist Herzenssache und kein Theater.
Für unsere Zeit heute hier in Hörselgau kann das nicht heißen, dass nur, wer im stillen Gutes tut, ein guter Geber ist. In unserer öffentlichen Welt ist es vielleicht sogar geboten, das Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern das Gute leuchten zu lassen, das wir tun, damit es die Menschen sehen und die Barmherzigkeit Gottes preisen, die sich in den guten Taten und Gaben offenbart. Im übrigen – wie Sie wissen – ist auch dies ein Wort Jesu, das auch in der Bergpredigt zu hören und zu lesen ist. Ich denke, die Hauptsache ist das Herz, das in der Lage ist, Liebe zu schenken aus der Liebe zu sich selbst und vor allem aus der Liebe zu Gott heraus. Wir begegnen Gott selbst in unseren Mitmenschen. Jeder ist ein liebevoller Gedanke des Allmächtigen, Sie und ich und alle Menschen, die da draußen in der Welt leben. Gutes tun und darüber reden ist gut, solange der Anstoß zum Guten aus unserem Herzen entspringt und keinem Kalkül oder Eigeninteresse.
Zuletzt schwingt noch ein Gedanke nach – es ging sehr viel um Geld und materielle Dinge. Almosen geben ist zwar etwas materielles, aber wichtig sind auch die, die anpacken, die mit dem Geld, in Aktion treten und etwas von Gottes Wirklichkeit auf der Erde verwirklichen. Ich denke ganz besonders an die vielen Ehrenamtlichen in unserer Gemeinde, die manchmal wirklich im Verborgenen, ein frommes Werk tun, die die Glocken läuten, den Rasen mähen, Kaffee kochen und Kuchen backen, ihre Zeit verschenken für die Kinder und älteren Gemeindeglieder, die sich engagieren zum Wohle unserer Gemeinde und unseres Ortes. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie unser Zusammenleben nicht nur in der Kirchgemeinde, sondern generell aussähe, wenn es diese Menschen und ihre liebevollen Taten nicht gäbe.
Aus ganzem Herzen Gutes tun, das ist ein Abglanz Gottes, etwas wie eine kleine Offenbarung Gottes in unserer kleinen Welt. Ich möchte Ihnen allen das Wort zurufen, dass dieses Wirken auf fruchtbaren Boden fällt, dass unser himmlischer Vater alles sieht und nichts in Vergessenheit gerät, was wir in unserer Zeit an Gutem tun aus lauterem Herzen. Wer etwas zu geben hat, der gebe es mit lauterem Herzen, schreibt der Apostel Paulus. Dazu gebe uns Gott die Kraft, die wir brauchen und ein reines Herz, das auch den anderen lieben lernt. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.