Liebe Gemeinde,
erst jüngst hat wieder die Bahn gestreikt. Die Mitarbeiter forderten mehr Lohn, eine Anpassung an eine teurer werdende Gesellschaft – Energie, Benzin, Lebensmittel. Unser eigener Gerechtigkeitssinn sagt ganz selbstverständlich: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Doch wie viele haben eigentlich die Lobby und damit die Möglichkeit mehr zu fordern und wie ungleich ist das Gefälle zwischen verschiedenen Berufsgruppen? Wenn die Züge nicht fahren, gibt es ein Riesen-Tam-Tam, würden die Zeitarbeiter und Tagelöhner unserer Zeit streiken, wen kümmert´s? Sie sind ersetzbar in den Augen der Wirtschaft und damit leider auch in unseren Augen manchmal.
Besonders in Thüringen haben wir ja die niedrigsten Löhne in ganz Deutschland. Kein Wunder, warum jedes Jahr ca. 50.000 junge Leute unsere Heimat verlassen, um einige Kilometer weiter, fast das Doppelte für die gleiche Arbeit zu bekommen. Wir merken das ja ganz konkret in unserem Umfeld und es gibt wohl kaum eine Familie, die von dieser Völkerwanderung wegen des Geldes nicht betroffen wäre. Wen ich heute konfirmiere, der ist in 2, 3 Jahren weg von hier.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, würden wir diesen Satz auf das Gleichnis Jesu anwenden wollen, das wir eben im Evangelium gehört haben, würden sich uns wahrscheinlich die Nackenhaare hochstellen. Das geht doch gar nicht: Der, der einen vollen Arbeitstag hatte, bekommt den gleichen Lohn wie derjenige, der nur 3 Stunden gearbeitet hat. Mal ganz abgesehen davon – dass man im Vergleich ähnliches weltweit beobachten kann, - wäre dies aber Zustand in einer konkreten Firmenniederlassung vor Ort, da wäre ziemlich viel Sprengstoff und Frust auf der Tagesordnung. Es handelt sich ja um den gleichen Arbeitsplatz, den gleichen Weinberg, die gleiche Arbeit. Jesus provoziert; und ich bin mir sicher, diese Geschichte muss unseren Widerspruch herausfordern.
Was aber will er damit sagen? Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass Jesus in seinen Gleichnissen von Gottes Welt spricht, nicht von unserer Welt und unseren Maßstäben. Seine manchmal überraschenden Gleichnisse machen deutlich, wie anders Gottes Welt gegenüber unserer ist. Wie anders als unser Empfinden von Gerechtigkeit und Wert des Menschen die umfassende Liebe Gottes ist, die auch denen gibt, die weniger arbeiten, scheinbar weniger arbeiten.
Oft hat man in der Geschichte der Auslegung dieses Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg gemeint, Jesus würde einen Ausblick auf die Menschheitsgeschichte damit wagen. Diejenigen, die den ganzen Tag gearbeitet haben, sind die Generationen vor Jesus, die Gerechten der Menschheit seit Adam. Und je später die Menschen auch zu Gott, zum Weinberg kommen, sie erhalten alle den gleichen Lohn – das Heil, die Seligkeit. Schon unser seliger Kirchenvater Luther hatte damit Bauchschmerzen. Er sagte einmal in einer Predigt über solche Auslegung: solche Gespinste kann man spinnen, wenn man sonst keinen Stoff zur Predigt hat. Die ganze Heilsgeschichte seit Adam aufrollen. Tröstlich ist das eben noch nicht.
Und eine gute Nachricht, ein Evangelium soll doch unser Leben, unser Herz betreffen und dort gut sein. Luther hat dann weiter ausgeführt, die Pointe dieses Gleichnisses liegt darin, dass wir Menschen vor Gott alle gleich sind und gleich beurteilt werden – unabhängig unseres Standes, unabhängig von unserer Macht und Leistungskraft. Das ist, liebe Gemeinde, auch für mich die frohe Botschaft. Wir Menschen sind in Gottes Augen gleich wertvoll. Und die Betonung liegt auf „vor Gott“ bzw. in Gottes Augen. In unserer Welt bleiben wir ungleich. Freilich werden wir darunter leiden und damit leben müssen, dass Menschen ungleich sind – das lässt sich in unserer Welt gar nicht anders regeln. Denn wir kommen schon ganz unterschiedlich zur Welt, mit unterschiedlichen Begabungen, Interessen und Chancen. Wie oft hören wir auch in unserer Gesellschaft, welche weit reichenden, das ganze Leben bestimmenden Auswirkungen allein schon die Herkunft und das Elternhaus eines Menschen hat. Da ist mancher Weg schon vorbestimmt, in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zumindest. Und das in einem der gerechtesten und reichsten Länder der Welt.
Wir sind nicht alle gleich und eigentlich ist das so auch gar nicht gewollt und auch gar nicht möglich. Schließlich sind wir alle etwas Einzigartiges und Besonderes – unverwechselbar. Und stellen Sie sich vor, alle 6 Milliarden Menschen würden einen dicken BMW fahren mit 12 Liter Spritverbrauch – wir wären wohl schon längst erstickt, mal abgesehen davon, wer die 6 Milliarden BMWs hätte bauen wollen. Oder stellen wir uns vor, es gäbe 6 Milliarden Rechtsanwälte, wofür? Welches Geld, dessen Gegenwert erstmal produziert werden müsste, sollte der Streitpunkt sein? Und wer spricht eigentlich Recht, wenn es nur Anwälte und keine Richter gäbe? Das sind Spekulationen, liebe Gemeinde, und wir sehen daran, dass es auch Sinn macht, dass wir in diesem Leben, in unserer Welt ungleich sind. Das heißt nicht, dass wir uns mit jeder Ungerechtigkeit dieser Welt und jedem Missbrauch von Geld und Macht abfinden sollten. Darum geht es auch Jesus nicht, der gestritten hat für die Armen und Ausgestoßenen.
Jesus möchte, dass wir verstehen: Was und wer wir auch immer sind in dieser Welt – wir sind nicht schlechter oder besser dran als irgendein anderer. Gott liebt uns alle gleichermaßen und wird aufwiegen, was fehlt. Und doch steckt in Jesu Gleichnis noch etwas für unsere Welt, ein kleiner sozialer Sprengstoff – der Silbergroschen, der jedem am Ende des Tages in die Hand gedrückt wird, dieser Groschen war eben jenes Maß, das man zum Leben eines Tages benötigte. Das Existenzminimum würden wir heute sagen. Entspricht es nicht auch der Würde des Menschen, das Nötigste für den Tag zu haben – auch wenn er keine Arbeit hat? Darin sind wir in Deutschland sehr fortschrittlich, ein Ergebnis unserer christlichen Prägung. Mit dem sozialen Netz wird gewährleistet, dass jeder soviel hat, wie er braucht zum Leben – ein dach über dem Kopf und etwas zu essen und anzuziehen. Klar kann man davon keinen BMW fahren, klar kann man davon nicht in Südsee fliegen. Und eben das ist es doch, dass viele auf die Palme bringt. Würden wir solches soziales Netz in der ganzen Welt haben, wäre dann nicht ein Stück Himmelreich schon auf der Erde? Wie viele Milliarden Menschen haben nicht das, was notwendig ist für einen Tag, um menschenwürdig zu leben. Wir müssen uns also, liebe Gemeinde, nicht mit jeder Ungleichheit abfinden. Jesu Wort, sein Gleichnis vom Weinberg ruft uns zur Solidarität und Großzügigkeit auf. Es ruft uns dazu auf, auch mal ein Auge zu zu drücken, wenn es uns ärgert, dass einer durchkommt, obwohl er gar nicht arbeiten will, dass er – wie es so schön heißt – in der sozialen Hängematte hängt. Liebe Gemeinde, ich bin mir sicher, die Zeiten werden rauer, was Sozialneid und Armut in unserem Land angeht. Und damit wird auch unser Umgang in der Gesellschaft rauher. Da ist es wichtig, dass wir uns Gottes große Barmherzigkeit vor Augen halten, welches wir im Gleichnis hören. Gott möchte, dass jeder bekommt, was er zur Menschenwürde bedarf. Nicht weil Gott unsere Leistung nicht schätzt, sondern weil er alle gleichermaßen liebt. Das kann und mag Trost sein, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen. Das sollte vor allem ein ewiger Stachel sein in dieser Welt, den wir anmahnen und einfordern müssen, gerade dann, wenn in der Krise sich jeder selbst der Nächste ist. Amen.